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Der Gesang der Hölle: Kommissar Kilians vierter Fall

Der Gesang der Hölle: Kommissar Kilians vierter Fall

Titel: Der Gesang der Hölle: Kommissar Kilians vierter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roman Rausch
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Text.
    Souffleuse: »Schweig und zittere vor meiner Wut.«
    »Pack sie!«, schallte es aus den Reihen.
    Don Giovanni
gehorchte und ließ Partitur und Deckung fallen. Mit beiden Armen drückte er Anna zu Boden, als wolle er sie ertränken.
    Donna Anna: »Verbrecher!«
    Don Giovanni
: »…« Souffleuse: »Wahnsinnige.«
    Sandner: »Weiter! Bringt es zu Ende.«
    Aus der Gasse stürmte mit gezücktem Degen der Komtur herbei, der Vater Donna Annas, und forderte Vergeltung. Sein Bass klang ehrfurchteinflößend.
    »Lass sie, Schamloser. Schlag dich mit mir!«
    Don Giovanni
erhob sich, rückte den Degen zurecht. Seine schmale Brust ließ zarte Anflüge von Kampfeslust erahnen.
    Souffleuse: »Geh …«
    Don Giovanni
: »Geh …«
    Souffleuse: »… du bist nicht würdig …«
Don Giovanni
: »…«
    Sandner: »Weiter!«
    Don Giovanni
stellte sich dem Komtur. Der Degen war bereit, weiteres Unheil über die ehrenhafte Familie der Donna Anna zu bringen.
    Souffleuse: »Elender, warte …« Sandner: »Zieh jetzt deinen Degen!«
    Don Giovanni
, breitbeinig und siegesgewiss, zückte den Degen und legte ihn über Kreuz mit dem des Komturs. Es gelang ihm überraschend gut.
    »Nun fechtet!«
    Die Klingen schlugen wie geprobt genau dreimal aufeinander, bis
Don Giovanni
den Komtur entwaffnen und erstechen sollte. Doch nicht des Komturs Klinge, sondern die des
Don Giovanni
flog in hohem Bogen über die Bühne.
    Ein Raunen erfüllte den Zuschauerraum. In den Rängen wurde eine Tür aufgerissen. Alle Augen richteten sich nach oben, bis die Tür ins Schloss fiel, dann fixierten sie fordernd Sandner.
    Die Regieassistentin reagierte als Erste. »Schmeiß ihn raus. Jetzt sofort!«
    Pianistin, Dirigent, Souffleuse und Sänger warteten auf eine Entscheidung.
    »Macht bitte keinen Stress«, beruhigte Sandner.
    »Zwanzig Minuten Pause.«
    Er verließ den Zuschauerraum. Zurück blieben enttäuschte Gesichter. Nur Vladimir schien die Lage anders zu interpretieren. Er nahm seinen Degen auf und forderte den Komtur erneut.
    »Lass gut sein!«, sagte der Komtur und schlug ihm den Degen aus der Hand. »Gehen wir was trinken.«
    Von der Bühne des Großen Saals waren es nur wenige Schritte bis zum langen Gang des Erdgeschosses. Durch zwei stählerne Feuerschutztüren hindurch und an der Inspizientin Jeanne vorbei, die von ihrem Schaltpult aus die gesamte Bühnentechnik steuerte. Sie wachte eisern darüber, dass kein Unbefugter während der Probe Sänger und Regisseur bei ihrer Arbeit störte. Ihre Ansage »Die Proben für den
Don Giovanni
sind für zwanzig Minuten Pause unterbrochen« erreichte über die Lautsprecher alle Etagen des Theaters. Sie gab den an der Produktion Beteiligten Gelegenheit, sich in der Kantine im Untergeschoss zu erholen oder sich, je nach Aufgabengebiet, auf den weiteren Probenverlauf vorzubereiten.
    Einige Techniker traten den Weg in die Kantine an. Ihr Urteil über die bisherige Probe war eindeutig vernichtend. Sie machten keinen Hehl daraus, wenn sie auf Kollegen trafen.
    Die Sänger, die die Bezeichnung Solisten bevorzugten, zogen sich stattdessen allein an einen Ort der Stille zurück. Sie wussten, dass sie und die gesamte Inszenierung nur so stark waren wie das schwächste Glied in der Kette. Dennoch wagte keiner, offen Protest zu erheben. Letztlich waren nicht sie, sondern der Regisseur verantwortlich. Damit ließ sich an einer kleinen Bühne gut leben. Zudem wusste man nie, ob man dem gescholtenen Regisseur nicht noch einmal an einem anderen Haus begegnen würde.
    Während sich das Ensemble über die drei Stockwerke verteilte, drangen aus dem Büro des Intendanten im zweiten Stock aufgebrachte Stimmen. Vorwürfe wurden im Stakkato vorgetragen, leise Beschwichtigungen folgten und fanden kein Gehör beim Adressaten.
    Dann wurde es still. Eine Tür weiter hinten am Gang schloss sich, eine andere wurde geöffnet, und der Aufzug fuhr nach unten.
    Sandner verließ erhobenen Hauptes das Büro des Intendanten. Seine Schritte klangen schwer auf dem Linoleumboden. Er ging in sein Büro, das er hinter sich verschloss.
    Jeannes Stimme kündigte die Fortführung der Probe am
Don Giovanni
an. Durch das Treppenhaus waren Wortfetzen zu hören. Emsiger Betrieb erfüllte das Haus. Eine Tür wurde geöffnet, der Sopran aus der Oper
Dialogues des Carmelites
drang aus dem Raum. Es war die Szene der Blanche mit der Mère Marie, kurz bevor sie zum Galgen geführt wird.
    Die Tür schloss sich wieder, der Sopran verstummte. Ein Moment der Stille.

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