Der Gesang von Liebe und Hass
Mich entfernten von all denen, die meine Familie waren, in der ich behütet gewesen war, achtzehn Jahre lang, wie ein Küken in kalter Winternacht unter der Schwinge seiner Mutter.
Der Himmel verdunkelte sich, und ich wartete vergeblich, daß Sterne aufleuchteten, aber Wolken zogen grau über das Schwarze hin, und wäre nicht das Licht der Scheinwerfer gewesen, hätte wohl absolute Finsternis uns umgeben.
Es stimmt, daß ich einmal Nonne werden wollte, es stimmt, daß ich die Frauen in den langen, braunen und schwarzen Gewändern, die sich der Armut und Keuschheit und der einzigen Liebe zu Gott ergaben, stets bewundert hatte. In unseren Familien war es ja nicht selten üblich, daß wenigstens eine der Töchter einem Orden beitrat.
Aber seit Paris, seit Burton, seit ich wußte, daß ich außer Gott und meinen Eltern und Geschwistern auch einen Mann lieben konnte, durfte ich doch gar nicht mehr ins Kloster gehen. Ich versuchte, meiner Mutter dies zu sagen. Ich versuchte, es ihr begreiflich zu machen.
Aber da saß sie, klein erschien sie mir, mit erhobenem Kinn geradeaus blickend, die Hände gefaltet, und antwortete mir nicht ein einziges Mal.
Wir übernachteten in einem ländlichen Gasthof bei Madrid, und in aller Frühe am nächsten Tag ging die Fahrt weiter. Jetzt fiel kein einziges Wort mehr zwischen uns, denn es gab nichts mehr zu sagen. Für mich blieb nur noch das Entsagen.
Und dann, am zweiten Abend, ragte das Kloster vor uns auf. Nicht das winzigste Licht hieß uns willkommen.
Meine Mutter hieß den Chauffeur vor dem großen Portal halten, in dessen dicke Holzbalken eine kleine Pforte geschnitten war.
Meine Mutter ließ den Türklopfer aus Schmiedeeisen dagegen fallen. Eine Luke öffnete sich, und eine Stimme fragte: ›Wer begehrt Einlaß?‹
Meine Mutter antwortete: ›Maria Christina de Valquez y Ortega, die gewillt ist, einzutreten.‹
›Was ist ihr Begehren?‹
Und meine Mutter antwortete: ›Gottes Barmherzigkeit und die Gnade der heiligen Tracht.‹
›So soll sie eintreten, gelobt sei Jesus Christus.‹
›In alle Ewigkeit. Amen‹, antwortete meine Mutter.
Die Pforte öffnete sich, meine Mutter trat einen Schritt zurück, so daß sie nun hinter mir stand.
Ich spürte ihre Hand nicht, die mich vortreten ließ, und auch keine, die mir über die Schwelle half.
Und so betrat ich das Kloster Santa Maria de la Sierra ganz allein.
Hinter mir wollte sich noch einmal ein Schrei erheben in die hereinbrechende Nacht, aber auch er wurde unterdrückt.
Den letzten Schritt, den Schritt über die Schwelle, tat ich aus freiem Willen, jäh Frieden und Ergebenheit fühlend, auf einmal glücklich, daß ich nicht zurückschauen mußte.
Eine Woche lang verbrachte ich in einer kleinen Zelle, die nur die Novizenmeisterin betrat, in der ich auch allein meine Mahlzeiten einnahm.
Die Novizenmeisterin lehrte mich die rechten Gebete zur rechten Tageszeit. Am längsten unterrichtete sie mich in dem unbedingten Gehorsam, dem ich zu jeder Minute und Stunde von nun ab zu folgen hätte.
Und dann kam der Tag, an dem ich, als Braut gekleidet, von zwei Ehrenjungfrauen in die Kapelle geführt wurde.
Ein Abt war dort, und Mönche und die Nonnen des Klosters unter ihrer Mutter Superior umgaben ihn. Ich kniete vor dem Abt nieder, und es war so still um mich her, daß ich hörte, wie er mit den Füßen scharrte.
Dann fragte er mich: ›Was ist dein Begehren?‹
Und ich erwiderte, wie meine Mutter es schon zuvor für mich getan hatte: ›Gottes Barmherzigkeit und die Gnade der heiligen Tracht.‹
›Erbittest du es von ganzem Herzen?‹
›Um meiner Liebe zu Gott willen tue ich es.‹
In einem Seitengelaß der Kapelle wurde mir das Haar kurzgeschnitten, und dort legten mir die Ehrenjungfrauen das Habit an, ein rauhes Unterhemd, dazu die Alpargatas, die Sandalen aus Hanf und Leder, dann das lange braune und das ärmellose Gewand, das Skapulier. Danach betrat ich zum ersten Mal die Klausur, und jede der Schwestern gab mir den Pax, den Friedenskuß.
Von nun ab hieß ich Schwester Teresa, nach unserer heiligen Mutter von Avila.
Und bald, so bald schon würde sie vor dem Altar liegen, in der Haltung des Kreuzes, und man würde ein Tuch über sie breiten und vier Kerzen anzünden, und dann würde sie endgültig, nach dieser letzten Weihe, für die Welt, für alle Menschen, die sie liebte, gestorben sein.
Herr, vergib mir, daß ich mich davor fürchte. Herr, vergib mir, daß ich mich noch nicht dazu ausersehen fühle.
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