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In Furcht erwachen

In Furcht erwachen

Titel: In Furcht erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kenneth Cook
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    May you dream of the Devil and wake in fright.

    Alter Fluch

    Für Patricia

    Eins

    Er saß an seinem Pult, sah erschöpft zu, wie die Kinder nach und nach das Zimmer verließen, und dachte, wohl
    zumindest in diesem Semester davon ausgehen zu dürfen,
    daß keines der Mädchen schwanger war.
    «Auf Wiedersehen, Sir», sagte das letzte Kind, das hin‐
    ausging.
    «Auf Wiedersehen, Mason», sagte der Lehrer, «bis zum
    nächsten Semester», dann verlor sich die schmale, un‐
    scheinbare Gestalt im grellen Licht der Tür, und die Klasse war nichts weiter als das Plappern eifriger Stimmen, das in der Hitze schwebte und sich allmählich auflöste.
    Der Lehrer sah sich im leeren Klassenzimmer um, das
    mit der schäbigen Toilette die ganze Schule ausmachte.
    Zweiundzwanzig Bänke für achtundzwanzig Schüler, Mäd‐
    chen und Jungen im Alter zwischen fünf und siebzehn.
    Achtundzwanzig Schüler, von denen siebenundzwanzig
    einzig und allein zur Schule kamen, weil die Verfassung vorschrieb, sie bis mindestens fünfzehn zu unterrichten,
    oder weil ein verzweifelter Farmer, der auf dem Boden der weiten Prärie sein karges Einkommen fand, glaubte, eine
    Schulbildung gebe seinem Kind vielleicht die Hoffnung,
    die er selbst längst verloren hatte.
    Der achtundzwanzigste Schüler, der elfjährige Mason,

    9
    war begierig darauf zu lernen − eifrig, gescheit und unerklärlich sensibel, war er dennoch dazu verdammt, bei der
    Bahn anzufangen, sobald er das gesetzlich vorgeschriebene Alter erreicht hatte, weil sein Vater ebenfalls bei der Eisenbahn arbeitete.
    Der Lehrer stand auf und ließ die Schultern kreisen,
    damit sich das naßgeschwitzte Hemd von seinem Körper
    löste, dann begann er, nach und nach die Fenster zu schlie‐
    ßen und zu verriegeln.
    Durch die Scheibe konnte er die Prärie sehen, die sich nach Westen ausdehnte, durchsetzt nur von vereinzelten
    Gruppen unverwüstlicher Salzbüsche, die selbst diesem
    Boden, auf den monatelang kein Wassertropfen fiel, ein
    Überleben abtrotzten. Irgendwie schafften es die Men‐
    schen, in dieser Halbwüste ein Auskommen zu finden. Sie schafften es, Kühe und Schafe − ein Stück Vieh auf zehn Hektar − am Leben zu erhalten, bis sie genug Gewicht zu-gelegt hatten, um auf den Märkten an der australischen Kü‐
    ste ein paar Pfund einzubringen, aber der Lehrer hatte nie verstanden, wie sie das machten. Ein paar Leute, denen
    Tausende von Quadratmeilen gehörten, machten sogar ein
    Vermögen, indem sie auf die seltenen Regenfälle warteten, um dann ganze Herden aufs Land zu treiben, die sich an dem grünen Teppich gütlich taten, der über Nacht aufgetaucht war. Aber nun hatte es seit bald einem Jahr nicht mehr geregnet, und unter der Sonne war jedes Leben verdorrt, abgesehen von den Salzbüschen. Die Menschen
    waren ausgetrocknet, ihre Haut gegerbt, die Augen einge‐
    fallen, während von ihrem Vieh nichts Übrigblieb als weiße
    Knochen. Aber weil sie daran glaubten, daß eines Tages
    Regen fallen würde, harrten sie in ihren Holzhäusern aus.
    10
    Der Lehrer wußte, daß irgendwo da draußen im schim‐
    mernden Dunst, nicht allzu weit entfernt, die Grenze des Bundesstaates lag, markiert durch einen kaputten Zaun,
    und noch weiter draußen in der Hitze die stille Mitte
    Australiens, sein Totes Herz. Sein Blick aus dem Fenster war
    beinahe vergnügt, schließlich würde er sich noch am selben Abend auf den Weg nach Biuidanyabba machen. Schon
    am nächsten Tag stiege er morgens in ein Flugzeug, wäre abends in Sydney, und am Sonntag schwämme er bereits
    im Meer. Der Schullehrer stammte nämlich von der Küste, von jenem Streifen des Kontinents, der zwischen dem Pazi-fischen Ozean und der Great Dividing Range lag und dem die Natur die Gunst schenkte, die sie dem Westen so stand-haft vorenthielt.
    Das Meer, zwölfhundert Meilen ostwärts, war das ganze
    Jahr über Tag für Tag mit den Gezeiten gestiegen und gefal‐
    len, ohne daß er es gesehen hatte. Zwölf Monate lang hatte
    er die Schule in Tiboonda geleitet, die einen einzigen Lehrer beschäftigte, zwölf Monate, wobei ihm während der
    Semesterferien nur die magere Ausfallzahlung zur Ver‐
    fügung stand. Darum hatte er die Ferien in Bundanyabba
    verbracht, der Minenstadt mit sechzigtausend Einwohnern
    und Mittelpunkt des Lebens im Gebiet an der Grenze. Für den Lehrer war die Stadt allerdings nichts anderes als eine größere Variante von Tiboonda, und Tiboonda war eine
    Variante der Hölle.
    Aber jetzt

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