Der Geschmack der Liebe
nicht mehr loslassen. Da war sie sich sicher. Manchmal musste man eben Geduld beweisen. „Gut Ding will Weile haben“, hatte schon ihre Oma immer gesagt.
Gedankenverloren eilte Luisa an dem kleinen Pförtnerhäuschen von Hansen Kaffee vorbei und winkte Herrn Rieger einen Gruß zu.
„Was machen Sie denn schon hier, Frau Vogt?“, rief dieser ihr zu. „Sie tauchen ja jeden Morgen ein bisschen früher auf!“
Johann Rieger war so etwas wie der gute Geist der Firma. Nicht mal das Personalbüro wusste, wie alt er wirklich war. Standhaft weigerte er sich, es zu verraten. Er wollte nicht in Rente geschickt werden. Das hier, das war sein Leben. Als Laufbursche hatte er damals bei Hansen Kaffee angefangen, und seit vor einigen Jahren seine Frau gestorben war, hielt ihn nicht mehr viel zu Hause. Hier hatte er eine Aufgabe zu erfüllen. Für Johann Rieger war sein Pförtnerhäuschen so etwas wie das Tor zur Welt.
Luisa lächelte den alten Mann an.
„Na, und Sie?“, entgegnete sie fröhlich. „Sie verlassen die Firma ja überhaupt nicht mehr.“
„Tja, Hansen Kaffee ist eben so etwas wie mein zweites Zuhause“, zuckte der Pförtner mit den Schultern.
„Sehen Sie, bei mir ist es nicht viel anders.“ Das stimmte. Luisa fühlte sich wohl bei Hansen Kaffee, sogar mehr als das, sie fühlte sich aufgehoben. Hier war sie am richtigen Platz.
„Na, Deern“, riss Johann Rieger sie aus den Gedanken, „wenn ich alter Knacker so was sage, ist das eines. Aber Sie! Sie haben doch bestimmt jemanden daheim, der auf Sie wartet!“
Einen Moment blinzelte Luisa ertappt. Ja, das wäre schön. Doch schnell schüttelte sie die trüben Gedanken ab.
„Allerdings“, rief sie ganz locker. „So jemanden gibt es. Und er hat den liebsten Blick auf der Welt. Vor allem, wenn ich ihm getrocknete Schweineöhrchen mitbringe.“
Das Lachen des Pförtners begleitete Luisa in die Firma.
Den Hauptschalter für die Rösterei umzulegen und die Maschinen anzustellen war schnell erledigt, und Luisa setzte gerade Kaffee für ihre Kollegen auf, als jemand um die Ecke bog.
„Frau Vogt, was machen Sie denn schon hier?“
Maximilian Hansen betrat die Kaffeeküche.
„Ach“, winkte Luisa ab, weil sie nicht wusste, wie ihr Chef auf die freiwilligen Überstunden reagieren würde, „ich habe nur die Maschinen schon mal angeworfen, damit sie warmlaufen können. Und jetzt wollte ich mir einen Café Luna genehmigen. Möchten Sie auch einen?“
Maximilian Hansen sah Luisa nachdenklich an.
„Sagen Sie, habe ich Sie nicht noch gestern Abend bei meinem letzten Rundgang um neun Uhr hier gesehen?“
Luisa zuckte nur mit den Schultern, goss zwei Tassen ein und reichte eine davon ihrem Chef. Er musste ja schließlich nicht alles wissen, oder?
„Was tun Sie also schon hier?“ Maximilian nahm mit einem strengen Blick den Kaffee entgegen. Er wartete auf eine Antwort. Luisa gab sich einen Ruck.
„Es ist nur so, dass wir durch die kaputte Maschine etwas ins Hintertreffen mit der Lieferung geraten sind, und ich dachte, wir könnten das wieder aufholen, wenn wir jeden Morgen ein bisschen vorarbeiten?!“ Luisa blickte ihren Chef fragend an. In der letzten Zeit hatte sie eifrig Zeitung gelesen und ihre Ohren offen gehalten. Comtess Coffee, die Hamburger Rösterei, die der einflussreichen Familie von Heidenthal gehörte, hatte Hansen Kaffee den Rang als Marktführer abgeluchst. Ein wichtiger Geschäftspartner hatte den Vertrag mit Hansen Kaffee gekündigt, um fortan seinen Kaffee bei Comtess Coffee zu kaufen. Das bedeutete sicher noch nicht viel, trotzdem könnten Kunden, die nicht rechtzeitig beliefert würden, natürlich ebenfalls zu dem größten Konkurrenten wechseln. Molly hatte sich über die „Wir“-Attitüde Luisas lustig gemacht. Aber Luisa stand wirklich hinter dieser Firma und ihren Werten. Außerdem wurde hier die Kaffeemischung geröstet, die Luisa wie keine andere liebte: Café Luna, ein Kaffee, dessen Duft unverwechselbar aromatisch war. Niemand wusste, aus welchen Bohnen die Mischung bestand und die Hansens hüteten ihr Erfolgsrezept wie einen kostbaren Schatz. Und wenn Luisa ein klein wenig für diesen Betrieb tun konnte, indem sie ein bisschen früher auftauchte, machte ihr das gar nichts aus, zumal in letzter Konsequenz schließlich auch ihr Job an den Erfolg der Firma geknüpft war.
Herr Hansen schüttelte lächelnd den Kopf.
„Machen Sie sich mal nicht zu viel Sorgen, Frau Vogt. Ich habe mit unseren Kunden längst geredet.
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