Der Geschmack der Liebe
Spätestens bei der nächsten Aufsichtsratssitzung müsste er ihr reinen Wein einschenken. Ganz realistisch betrachtet, gestand sich Maximilian ein, könnte er nicht nur ihren Rat, sondern auch den der jüngeren Generation gebrauchen. Aber auf Daniel war in der Hinsicht ja noch nie Verlass gewesen. Das Einzige, was den Jungen interessierte, war Gewinnmaximierung um jeden Preis. Manchmal wünschte sich Maximilian wirklich, sein Sohn hätte etwas mehr von Luisa. Zumindest könnte sich Daniel eine ordentliche Scheibe von dem patenten und tüchtigen Mädchen abschneiden. Gerührt schüttelte er den Kopf. Da machte sie heimlich unbezahlte Überstunden, und das nicht erst seit gestern. Luisa Wirbelwind, hatte er sie insgeheim getauft, denn sie schien immer mindestens zwei Dinge gleichzeitig zu machen. Und dabei hielt sie die ganze Belegschaft bei Laune.
Die Gedanken an Luisa stimmten Maximilian wieder zuversichtlicher. Noch schrieb die Firma schwarze Zahlen, und so würde es auch bleiben. Sie waren noch lange nicht vor dem Aus, auf keinen Fall. Er musste eben nach vorne gucken. Hansen Kaffee stand für Qualität, und dafür waren die Menschen immer bereit, einen gewissen Preis zu zahlen. Da war er sich ganz sicher.
„Ja – besser nicht – oder doch … hmmm“, Luisa hatte Feierabend und ging langsam die Stufen von Hansen Kaffee hinunter, sehr beschäftigt mit der Frage, ob sie jetzt noch schnell ein paar Secondhandläden abklappern sollte oder nicht. Da gab es diesen einen, von dem Molly immer schwärmte, weil man dort exquisite Markenkleidung bekam. Doch jetzt noch in die Innenstadt fahren? Außerdem waren Designerklamotten selbst gebraucht noch zu teuer. Blieb also die Frage: Was anziehen zu dem Jubiläumsfest?
„Einen schönen Feierabend, Frau Vogt“, wünschte Johann Rieger aus dem Pförtnerhäuschen heraus, „wir sehen uns ja dann morgen auf der Rickmer Rickmers.“
„Wissen Sie schon, was Sie anziehen?“ Neugierig trat Luisa näher an das Fenster. Der Pförtner ließ das Buch, in dem er gerade las, sinken und lächelte verschwörerisch.
„Sie werden lachen, ich passe tatsächlich noch in meinen Hochzeitsanzug. Sogar die Fliege ist original Anfang Fünfziger. Zwar etwas … na ja, altmodisch, aber doch ganz passabel.“
„Ich bin gespannt“, lachte Luisa und winkte zum Abschied. Er hatte recht. Wozu sich ein neues Kleid kaufen, irgendwas würde sich schon in ihrem Schrank finden. Oder in Mollys.
2. KAPITEL
Valerie von Heidenthal war fast fertig mit dem Frühstück, als ihr Mann Claus das Esszimmer betrat. Er wählte einen Platz, der so weit wie möglich von ihrem entfernt lag, und murmelte ein „Guten Morgen“ in ihre Richtung. Valerie hob eine perfekt nachgezogene Augenbraue.
„Sieh an, der Herr des Hauses“, stichelte sie. „Meinetwegen hättest du dein geliebtes Kämmerchen aber nicht verlassen müssen. Alle wichtigen Details habe ich vorhin schon telefonisch geklärt, bevor ich gleich in die Firma fahre.“
Claus von Heidenthal sah seiner Frau beim Essen zu und gestand sich das x-te Mal ein, dass er sie dabei nicht mochte. Sie schlang. Es wirkte fast so, als interessiere sie sich gar nicht für das, was sich auf ihrem Teller befand. Egal, wie viele Stunden ihre Köchin für die kulinarischen Köstlichkeiten, an denen die Familie sich täglich erfreuen durfte, gebraucht hatte. Um ehrlich zu sein, ertrug er kaum das Geräusch, das Valerie beim Kauen machte. Er füllte sich den Teller und verzichtete auf eine Erwiderung. Die beiden gingen nun schon seit mehreren Jahren getrennte Wege. Von den getrennten Schlafzimmern ganz zu schweigen. Nichtsdestotrotz gebot ihm seine gute Erziehung, den Schein zu wahren. Sogar im Privaten. In geschäftlichen Dingen hatte er immer weniger zu sagen. Valerie hielt mit Unterstützung der ihr ergebenen Aufsichtsräte seit dem Tod ihres Schwiegervaters die Fäden fest in ihrer Hand. Sie ließ ihren Mann, den Geschäftsführer, gerne spüren, wer wirklich die Macht in der Firma hatte. Valerie war eben durch und durch eine knallharte Businessfrau. Claus dagegen erledigte zwar pflichtbewusst seine Arbeit, aber Spaß empfand er schon lange nicht mehr an seiner Tätigkeit. Nicht, dass Valerie ihn gänzlich aus der Firma verdrängen wollte – noch nicht. Denn schließlich war Claus es, der verantwortlich zeichnete für die Plantagen in Übersee. Und deren Zustand. Da war Valerie skrupellos. Wer Dokumente unterschrieb, ohne vorher das Kleingedruckte gelesen zu haben,
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