Der Geschmack der Liebe
Kleinere Verzögerungen sind selten wirklich ein Problem. So was passiert nun mal immer wieder. Deshalb sollten Sie jedenfalls nicht Ihre Nachtruhe verkürzen.“ Der Chef von Hansen Kaffee trank aus, stellte seine Tasse in die Spüle und warf Luisa einen Blick zu, den sie nicht recht zu deuten wusste.
„Auch wenn ich Ihren Einsatz zu schätzen weiß“, sagte er dann milde, „kommen Sie ab sofort bitte wieder wie gehabt.“
Luisa nickte und sah ihm hinterher, als er in sein Büro ging und bei offener Tür seine langjährige Sekretärin begrüßte. Auch Gisi oder mit vollem Namen Gisela Mühlbauer hatte ihm bereits einen Kaffee gemacht. Herr Hansen winkte lächelnd ab.
„Nein danke, Gisi, Frau Vogt hat mir gerade einen spendiert. Ich sollte es nicht übertreiben.“
Die Tür schloss sich, und Luisa kramte in ihrer Handtasche. Nun wollte sie es aber wissen. Sie nahm die Tarotkarten heraus und mischte sie zusammen mit dem neuen Rezept aus ihrem Traum. Der Entwurf landete bei einer unbekleideten Dame, die auf einem Bein tanzte, umkränzt von einem Ring aus Blättern: die Welt. Hmmm. Was konnte das bedeuten? Dass Luisa mit ihrer neuen Kuchenkreation die Welt der Konditormeister revolutionierte? Dass alle Menschen, die von ihrem Kuchen kosteten, ihr zu Füßen liegen würden?
Vielleicht sollte es aber auch bedeuten, dass die Welt aus mehr bestand als aus Kaffee und Süßigkeiten? Selbst gestern hatte sie sich mehr mit den Getränken und Molly beschäftigt, als dass sie die männlichen Besucher der diversen Bars genauer unter die Lupe genommen hätte. Vielleicht hatte sie ja etwas verpasst? Nein! Luisa schüttelte den Kopf. Wenn ausgerechnet gestern Mr. Right ihren Weg gekreuzt haben sollte, dann hätte sie das sicher bemerkt. Trotzdem hatten die Karte und Molly wahrscheinlich auch ein kleines bisschen recht, wenn sie behaupteten, dass man dem Glück auch selbst ein wenig auf die Sprünge helfen könne.
„Also gut“, machte Luisa einen Deal mit sich selbst oder dem Schicksal. Wenn keiner meiner Kollegen hier auftaucht, bevor die zweite Kanne Kaffee durchgelaufen ist, dann fordere ich auf der morgigen 150-Jahr-Feier von Hansen Kaffee einen Mann zum Tanzen auf. Luisa hielt den Atem an und hörte bereits das Schnattern ihrer Kollegin Nicole. Ein wenig erleichtert und auch ein klitzekleines bisschen enttäuscht, steckte sie ihre Tarotkarten weg. Doch dann musste sie grinsen. Na und? Sie war schließlich ein freier Mensch und konnte morgen Abend machen, wozu sie Lust hatte – Deal hin oder her! Vielleicht war ja auch kein einziges betanzbares männliches Exemplar anwesend!
Nicole traf im Gespräch mit dem Röstmeister Hubertus Braun ein. Wie immer war sie bereits gestresst, bevor die Arbeit losging, griff sich eine Tasse und meckerte los. Eine halbe Stunde früher als vorgesehen sei sie gekommen, und das müsse ihr ja wohl irgendwann vergütet werden. Sie persönlich könne schließlich nichts dafür, wenn Hansen Kaffee mehr Aufträge annähme, als erfüllt werden könnten. Oder stünde es etwa schlecht um die Firma? Müsse sie sich Sorgen machen um ihren Job? In dem Fall wolle sie das nämlich lieber gleich wissen, damit sie sich notfalls anderweitig umschauen könne!
Luisa und Hubertus Braun wechselten einen Blick. An den Röstmaschinen war Nicole die Ruhe und Professionalität in Person, ansonsten allerdings neigte sie zu kleinen hysterischen Überreaktionen. Luisa wünschte sich, sie hätte der Kollegin erst gar nichts erzählt. Dabei würde es sie sicherlich nicht umbringen, dass sie mal eine halbe Stunde früher zur Arbeit kommen musste! Schließlich weitete sie ihre Mittagspause öfters gerne derart aus, dass andere Menschen währenddessen nicht nur essen, sondern gleich noch eine Kalorien verbrennende Maßnahme im Fitnessstudio anschließen könnten! Doch bevor Luisa zu Wort kam, mischte sich der Röstmeister ein. Die kleine Zeitverzögerung sei ja kein Problem, bestimmte er, und binnen der nächsten Tage zu lösen. Außerdem sei er nun schon dreißig Jahre hier, und Maximilian Hansen vertraue er blind. Der habe das Ruder fest im Griff, und so würde es auch bleiben!
„Wenn einer weiß, was zu tun ist, dann ist es Maximilian Hansen!“, schloss er seine kleine Rede, trank einen Schluck Kaffee und blickte in zustimmende Mienen.
Alleine in seinem Büro betrachtete der Hansenchef nachdenklich die Bilder, die seine Wände zierten. Streng sahen ihn sein Urgroßvater und sein Großvater an. Noch immer fühlte
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