Der gestreifte Spanier (German Edition)
D er gestreifte Spanier
Groß und kräftig sollte er sein. Ein richtiger Hund eben. Das war die einzige Bedingung, die mein Mann stellte.
Als ich Amor kennen lernte, hatte er die Hitze seines Heimatlandes hinter sich gelassen. Einige Wochen zuvor fanden Tierschützer ihn auf einer der staubigen Straßen Teneriffas und brachten ihn nach Deutschland.
Vermutlich hätten mich Sätze, wie „Er hat Jagdtrieb“ und „Er ist sehr selbstständig“ abhalten sollen, ihn aufzunehmen. Zudem sah er mit seinem beige-schwarz gestromten Fell und der schwarzen Maske aus wie eine unterernährte Hyäne.
Doch seine bernsteinfarbenen Augen ließen keine Zweifel zu. Ich nahm ihn mit.
Als erstes überrumpelte er unsere Hündin Lea mit seinem sprudelnden Charme. Sie ergab sich und teilte noch am selben Abend ihre Decke mit ihm.
Am nächsten Tag beanspruchte er eine kleine Chaiselongue in unserem Wohnzimmer als künftigen Schlafplatz. Zwei Wochen lang versuchte ich erfolglos, einen Bann auf das Sofa zu legen. Jedes Mal, wenn ich das Zimmer betrat, lag er ausgestreckt darauf, den Kopf auf die runde Lehne gebettet. Jeder andere Hund wäre mit betretenem Blick sofort heruntergesprungen. Amor räkelte sich nur entspannt und schloss zufrieden die Augen.
Ich schützte den Bezugstoff mit einer Decke.
Kommandos waren Fremdwörter für ihn.
Im wahrsten Sinne, dachte ich und lernte spanisch. Doch selbst der vertraute Klang von Anda ! oder No ! entlockte ihm nicht einmal ein läppisches Zucken seiner Ohren.
Wie eine Ziege kletterte er auf Tische und sprang auf die Küchenzeile. Er zerrte Brot und Kekspackungen herunter, zerkaute Ledertaschen und räufelte meine Kaschmirjacke auf.
Erwischte ich ihn, quittierte er mein Schimpfen mit einem treuherzigen Blick.
„War was?“, schien er zu fragen.
Ich wurde ein Ordnungsfanatiker.
Leinenführigkeit? Davon hatte er noch nie gehört. Amor folgte nur seiner Nase. Unkontrollierbar zog er mal hier, mal dorthin und bald konnte ich nicht mehr zählen, wie oft meine Nackenwirbel mit lautem Knirschen gegen diese grobe Behandlung protestierten.
Die übrige Zeit stemmte er sich ins Geschirr wie ein Brauereipferd. Täglich aufs Neue versuchte ich, mit ihm Schritt zu halten.
Begegneten wir anderen Hundehaltern, entdeckte ich in deren Gesichtern das gleiche mitleidige Lächeln, das ich früher für diejenigen übrig hatte, deren Vierbeiner sie durch die Gegend zerrten.
Ich band mir die Leine um die Hüfte und hielt dagegen.
Freilauf wäre die Lösung des Problems gewesen. Völlig unmöglich. Denn auf die Jagd verstand Amor sich wie kein Zweiter. Ich spreche nicht vom Verhalten eines ausgebildeten Jagdhundes, der auf Kommando geschossene Enten apportiert oder die Spuren waidwunder Tiere verfolgt.
Amor jagte ausschließlich für sich selbst. Und er beherrschte es bis zur Perfektion. Mäuse fing er im Vorübergehen. Bevor er sie verspeiste, lutschte er sie zu Tode.
Mit katapultartigen Sprüngen erwischte er Jungschwalben in der Luft; brach einem Baummarder mit einem Biss das Rückgrat.
Ich ertrug es.
Bis zu dem Tag, an dem Amor ein Loch in den Zaun des Geflügelauslaufes riss. Er schlüpfte hindurch und verbiss sich in den Hals einer der arglos grasenden Gänse.
Ich stürzte hinterher. Packte ihn im Nackenfell und brüllte ihn an. Er ließ nicht locker.
Ich schlug ihn. Ich versuchte, seine Kiefer zu öffnen. Er ließ nicht locker.
Erst als das verzweifelte Schreien der Gans verstummte und sie in seinem Maul erschlaffte, ließ er los.
Ich schleifte ihn zurück in den Garten.
Amor setzte sich neben mich. Seine Rute wischte den Boden und er leckte mir die Tränen aus dem Gesicht.
Ich sah ihn an.
So geht es nicht weiter, Amor.
Was meinst du?
Es gibt Regeln.
Sicher. Sorge für dich selbst.
Ja, auf Teneriffa. Hier nicht. Oder hast du jemals erlebt, dass Lea sich so benimmt wie du.
Lea wäre längst tot.
Ja, auf Teneriffa. Hier nicht. Du brauchst dir dein Futter nicht selbst erjagen. Du bekommst es von mir.
Hm.
Lebst du gerne bei uns?
Ja.
Vertraust du mir?
Mmh,… Ja.
Was soll dieses Zögern?
Wenn ich an die Begegnung mit den Wildschweinen denke, vor ein paar Tagen.
Was war damit?
Du bist weggelaufen.
Natürlich. Das Beste, was ich tun konnte. Was du mir übrigens nicht gerade leicht gemacht hast.
Ich wollte dich und Lea beschützen.
Ja, du bist mutig und stark. Aber nicht genug, um es mit einer Rotte Wildschweine aufzunehmen.
Du hast es mich ja nicht beweisen lassen.
Hör
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