Der gläserne Wald
von entsetzlichem Gestank erfüllt war.
In weiser Voraussicht bestimmt das Gesetz, dass die Weiber und Kinder der Sammler schon zwei Monate vor der Ernte aus dem Lager getrieben werden. So hatten wir es jetzt wenigstens nur mit den erwachsenen männlichen Sammlern zu tun. Dennoch ist immer wieder ungeheure Härte und Selbstüberwindung notwendig, auf diese stinkenden, blutenden Kreaturen so lange einzupeitschen, bis die Erinnerung an die heilige Lust des Schmerzes in ihnen wieder auflebt, und sie sich torkelnd erheben, um die Ernte zu beginnen.
Natürlich musste ich mit meiner lächerlich kleinen Peitsche dreimal so oft zuschlagen wie mein Vater. Zu allem Überfluss hatte er mir, bevor wir das Lager betraten, die kleinen Dornen, die ich heimlich in die Peitschenschnur geflochten hatte, wieder herausgezogen und lächelnd gesagt:
»Es stählt, wenn man einmal mehr zuschlagen muss.«
Der arme Elko musste sich damit begnügen, mit dem Weihwedel heiligen Jodsaft auf die Körper der Sammler zu spritzen. – Ich war ihm sehr dankbar, dass er mir diese Aufgabe abnahm, denn eigentlich hätte er die Segnung auch im Lager seines Vaters vornehmen können. Weil aber Elko unbedingt in meiner Nähe bleiben wollte, musste Aleb alles allein machen.
So kam es wohl, dass Aleb mit seinem Trupp noch im Lager war, als wir unseren Aufstellungsraum erreichten. – Nun ist es bekanntlich sehr unklug, Sammlertrupps anzuhalten, wenn sie einmal in Bewegung sind, denn diese stupiden Wesen lassen sich sofort hinfallen, und die ganze Arbeit beginnt von neuem.
Es galt also sehr schnell einen Entschluss zu fassen, bevor die Sammler spürten, dass eine Verzögerung eingetreten war. In solchen Dingen sind sie – wie alle primitiven Geschöpfe – sehr empfindsam.
»Wir ziehen unsern Trupp auf die ganze Breite auseinander!« rief ich meinem Vater zu. »Aleb soll dann mit seinen Leuten in die Zwischenräume aufrücken.«
Durchs Gestrüpp sah ich, wie er zum Zeichen des Einverständnisses seine Peitsche hob, aber es war einfach keine Zeit, mich länger mit ihm zu besprechen. Vom Mittelfeld aus begannen wir, unsern Trupp auseinanderzupeitschen.
Elko hatte jetzt seinen Jodwedel in den Köcher geschoben und warf mit Steinen auf Sammler, die sich zu träge bewegten. Er war wirklich sehr eifrig, und ich konnte mit meinem Gehilfen zufrieden sein.
Es war unmöglich zu hören, ob sich Aleb uns von hinten näherte, denn der Lärm unseres Trupps und das Knallen der Peitschen übertönten jedes andere Geräusch.
Endlich hatten wir den Stachelstrauchgürtel, der rings um den Hochwald herum wächst, durchdrungen und traten zwischen die riesigen gläsern-blauen Stämme der Beerenbäume.
Elko warf seinen letzten Stein auf einen Sammler, der sich hinter einen Stamm kauern wollte, und wir hörten, wie er polternd durch das Röhrenwerk der Wurzeln in die Tiefe fiel.
Mich überkommt jedes Mal ein ehrfürchtiges Staunen, wenn ich in den Wald eindringe. Er ist das Wunderbarste, was man sich vorstellen kann. Manchmal glaube ich, dass er genauso wenig auf Ne Par entstanden sein kann, wie wir Menschen, so sehr unterscheidet er sich von allem rings umher.
Von außen gesehen wirkt der Wald wie eine ungeheuer große Halbkugel aus blauschwarzen Stacheln, denn jeder einzelne Stamm ist wie eine Nadel geformt und gleichmäßig etwa zweihundert Meter hoch. Etwa in der Hälfte dieser Höhe wachsen aus dem Stamm unzählige silbrig grün schimmernde Fäden, die jeden Stamm mit jedem anderen Stamm im Wald zu verbinden scheinen. – Die alten Nägarpriester sagen, die Stämme sprächen durch diese Fäden miteinander, aber ich halte das für Unsinn. Was sollten sich die Stämme zu erzählen haben? – noch nie hat ein Mensch gesehen, dass sich im Wald etwas verändert hätte.
Der Boden des Waldes besteht nur aus verschieden starken Röhrenwurzeln, die fast ohne Zwischenräume aneinander liegen. Natürlich gibt es trotzdem immer wieder Spalten, und, wenn man da einen Stein hindurchfallen lässt, so hört man ihn von Röhre zu Röhre poltern, bis das Geräusch immer leiser wird und sich schließlich in der Tiefe verliert. Niemand hat je ermessen können, wie tief das Röhrenwerk hinabreicht.
Nachdem Elko nichts mehr hatte, womit er die Sammler antreiben konnte, kam er zu mir zurück und zeigte mir mit einer bedauernden Geste seine leeren Hände. Das war natürlich ein grober Fehler, denn die Sammler vor uns hatten die Bewegung auch gesehen, und so laut Elko nun auch schreien
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