Der globale Eingriff
typische Fall eines Mannes, dessen Brandbombe zu früh explodiert war. Anders als die anderen Verletzten in dem Raum versuchte dieser, keine Geräusche zu machen, doch der Atem zischte laut durch die Zähne, die in dem schwarzen Entsetzen seines Gesichts erschreckend weiß aussahen. Die Venen im Arm, am Hals und an der Brust waren wegen der Gewebeschäden nicht auszumachen. Sie legte das Bein bloß, indem sie den Arbeitsanzug aufschnitt, und spritzte eine große Überdosis Neomorph direkt in die Hauptvene.
„Danke, Doktor“, sagte der Mann, der jetzt hinter ihr stand. „In seinem Namen.“
„Wenn Sie nicht die Tamarstraße in die Luft hätten sprengen wollen“, sagte sie wütend, „dann hätte die Stadtwacht Sie nicht erwischen können, und Sie hätten diese Verletzten nicht am Hals gehabt. Schauen Sie sich diesen an. Er ist wahrscheinlich gerade aus der Schule entlassen worden.“
„Sie sehen die Dinge zu einfach, Doktor“, erwiderte der Mann müde. „Es ist vielleicht besser, Sie tun die Arbeit, von der Sie etwas verstehen.“
„Meine Arbeit“, antwortete sie, während sie eine eingedrückte, schwammige Stelle an der linken Schädelhälfte des Jungen abtastete und bemerkte, daß er aus einem Ohr blutete und eine seiner Pupillen starr und unnatürlich erweitert war, „besteht darin, Kranke und Verletzte zu behandeln, unabhängig davon, wer es ist. Aber ich halte auch viel von vorbeugender Medizin, und Vorbeugen heißt auch, Leute wie Sie davon abzuhalten … Dieser muß so schnell wie möglich ins Krankenhaus.“
„Die meisten von ihnen müssen dringend ins Krankenhaus, Doktor. Nein.“
„Warum nicht?“ fragte sie und verabreichte ein schmerzlinderndes Mittel. Verbittert fuhr sie fort: „Sie würden doch sicher ein Transportfahrzeug auftreiben können.“
Der Mann atmete langsam ein. Er hatte sichtlich Mühe, sich zu beherrschen. „Es gibt verschiedene Gründe, warum wir das nicht tun können, Doktor. Im Krankenhaus werden sie mit Neomorph vollgepumpt, dann fangen sie an zu reden oder werden von Männern von der Stadtwacht befragt, die alles, was gesagt wird, auf Ükass aufnehmen. Die Krankenhäuser sind voller Sicherheitsbeamten. Das sind Ihre Freunde, Angehörige derselben Klasse, besondere und privilegierte Leute. Dieser Ort muß geheim bleiben, ganz egal, wie sehr meine Männer dafür leiden müssen. Alle waren mit dieser Regelung einverstanden. Um nicht ins Krankenhaus zu kommen, würden sie lieber …“
„Die meisten Sicherheitsbeamten im Krankenhaus sind Patienten“, sagte sie und richtete sich von der Kopfverletzung auf. „Außerdem sind das keine Gründe, verdammt noch mal, das sind … das sind Symptome von Geisteskrankheit.“
Das Gesicht des Mannes war weiß vor Wut, aber seine Stimme hatte er noch im Griff. „Sie denken von mir und allen übrigen hier, wir seien Wahnsinnige, verrückte Mörder, vielleicht Untermenschen irgendeiner Art? Sie denken, wir würden das gern tun? Nun, ich kann Ihnen versichern, daß wir das nicht gern tun. Es tut mir weh, so viele meiner Leute in so einem Zustand zu sehen. Und den Tod von so vielen Bürgern verursache ich auch nicht gern, weder mittelbar noch unmittelbar. Ich sehe es noch nicht einmal gern, wenn Leute von der Stadtwacht sterben. Die tun ja schließlich auch nur, was sie für richtig halten. Glauben Sie mir, es ist kein Vergnügen …“
„Die Bürger haben kein Interesse daran, verbrannt oder in die Luft gesprengt zu werden“, sagte das Mädchen und ging zum nächsten Bett. „Genausowenig wie die Polizisten, und auch Sie sehen nur ungern, daß Ihre Männer verletzt werden und sterben. Wenn das, was Sie tun, aber auch niemandem etwas bringt, dann wäre es doch sicherlich das beste, damit aufzuhören?“
„Oberflächlich gesehen“, antwortete er rauh, „wäre das wohl vernünftiger …“
„Vernünftiger, ja“, unterbrach sie ihn. „Das haben Sie gesagt, nicht ich.“
„… Aber es gibt auch sehr vernünftige Gründe, warum wir auf unserem Weg weitergehen müssen“, fuhr er fort. „Ich gebe zu, daß nur wenige meiner Leute wirkliche Gründe haben für das, was sie tun. Der Rest ist romantisch verbrämt, unzufrieden, unerwünscht. Aber sie sind beeindruckbar, und man kann sie gebrauchen, und sie sind bereit, für die Sache zu sterben.“
„Warum leben sie nicht für die Sache?“ Sie bedeckte das Gesicht eines Mannes, der an inneren Verletzungen gestorben war. „Und warum lassen Sie uns andere nicht auch
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