Meine Frau will einen Garten
1. Kapitel, in welchem eine Familie vorgestellt wird, die sich morgens um halb sieben anhört wie ein sinkender Flugzeugträger. Eine schlimme Krankheit wird beim übermüdeten männlichen Familienvorstand vermutet, aber dann doch nicht bestätigt. Wenn man jedoch gesund ist, denkt seine Frau, kann man dann nicht auch ein Haus bauen?
Das Bett knarzt. Pia grummelt im Schlaf. Deshalb verharre ich mitten in der Bewegung, was meine Bauchmuskeln genau eine halbe Sekunde mitmachen. Dann sacke ich ächzend zurück ins Kissen. Pia grummelt jetzt nicht mehr im Schlaf, sondern im Ärger. Sie dreht den Kopf zu mir rüber und sagt: »Fünf. Es ist fünf Uhr. Fünf Uhr früh. Kannst du schon wieder nicht schlafen?« Sie macht das kleine Licht an ihrer Seite an und setzt sich auf. Meine Frau schaut mich jetzt zugleich zärtlich, sorgenvoll und supersauer an. So einen Blick hat nur Pia drauf. Sie hat grüne Augen. »Schlaf weiter, Pia«, sage ich.
»Würde ich ja gerne«, antwortet sie, »aber da liegt ein Mann neben mir, der immer zwischen drei und sechs aufwacht und sich über mich beugt, um nachzuschauen, wie spät es ist. Das hört sich nach anstrengenden Sit-ups an, weil du dabei meistens röchelst, weshalb ich aufwache. Immer zwischen drei und sechs.«
»’tschuldigung.«
»Schon gut. Warum nimmst du den Wecker nicht auf deine Seite?«
»Ich will keinen Wecker. Der Wecker tickt. Und beim Ticken hört man, wie die Zeit vergeht. Mein Leben vertickt. Ich bin 45 Jahre alt, und der Wecker sagt dazu: tick, tick, tick. Und du willst, dass wir alle in ein Haus an den Stadtrand ziehen, und der Wecker sagt dazu tick, tick, tick …«
»Blödsinn. Du tickst ja nicht richtig, Liebling. Komm, schlaf weiter. Mach dir keine Sorgen. Wir finden eh nie ein Haus.« Sie gähnt und kuschelt sich seufzend wieder in ihr Kissen.
»Ich kann nicht schlafen.«
»Hmmm. Warum nicht?«
»Weil du einen Garten willst. Und so, wie du ein Haus für uns suchst, wirst du auch eines finden. Meine Tage hier in dieser Wohnung sind gezählt. Tick, tick, tick.«
Pia hört das nicht mehr, sie ist schon wieder eingeschlafen. Vermutlich träumt sie vom Garten. Ihr Traum ist mein Alptraum. Seit Monaten kann ich nicht mehr richtig schlafen und wache immer viel zu früh auf. Garten, Haus, Vorort, S-Bahn, ein Leben in Verschuldung und an der Peripherie. Und am Samstag immer zum Gartencenter. Tick, tick, tick. Der Wecker klingt hämisch. Und auch ein bisschen wie eine Bombe. Als wollte mir der Wecker sagen, dass mein Leben, so wie ich es kenne, bald vorbei sein wird. Da soll man schlafen können.
Draußen vor dem Schlafzimmerfenster weiß der aufziehende Münchner Herbstmorgen nicht genau, ob er sich noch wie ein frisch gebügelter Spätsommertag oder schon wie ein knittriger Frühwintertag anfühlen soll. Ich bin, in der Mitte meines Lebens angekommen, ebenso müde wie schlaflos.
Auf Pias Seite stapeln sih seit Monaten Zeitschriften rund um den Nachttisch, die Traumhäuser präsentieren. Perfekte Häuser mit perfekten Menschen darin. Pia lässt mir Zeit, aber sie hört auch nicht auf, Hausbesichtigungstermine zu vereinbaren. Oder gleich vom Hausbau zu sprechen. Vom »großen Abenteuer«, wie sie sagt. So habe ich mir Termine beim Küchenplaner und Entscheidungen über Fliesenmuster auch immer vorgestellt: als das große Abenteuer meines Lebens. Fehlt nur noch, dass wir eine Musterhausausstellung besuchen. So weit kommt’s noch, denke ich und wälze mich wieder herum. Die Laune ist nicht so besonders. Die Ehe zurzeit auch nicht.
Ich würde gern weiterschlafen. Oder aufstehen. Die Unentschlossenheit macht wach und müde zugleich. Ein Dilemma. Ist das Problem eines Mitte-des-Lebens-Lebens nicht vielleicht einfach diese Mitte? Ich bin deshalb zurzeit für jedes Extrem zu haben. Knittriger Wintertag, denke ich, genau, ich bin jetzt einfach mal für Wintertag. Man muss die Ränder suchen in der Mitte des Lebens. Aber nicht unbedingt die Ränder der Stadt. Pia will ein Haus mit Garten am Stadtrand. Ich nicht.
Einen Winterwolkentag wünsche ich mir. Winterwolkentag hört sich nach Bettdecke an. Bettdecke heißt Schlaf, und an Schlaf wäre mir gelegen. Noch eine Stunde, höchstens anderthalb, dann stehen unsere Kinder Julia, Anton und Max auf, erst eins, dann zwei, dann drei - und dann auch meine Frau. Es wird noch nicht halb sieben sein, und schon wird mein Leben sein, als spiele es sich auf dem Deck eines Flugzeugträgers ab, der in Kriegshandlungen verwickelt
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