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Der globale Eingriff

Der globale Eingriff

Titel: Der globale Eingriff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James White
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leben?“
    „Ich versuche, mit Ihnen zu reden wie mit einem intelligenten Menschen“, erwiderte er und schaute auf die Ausbeulung in dem Laken, das das Gesicht des Toten bedeckte, „der die Schwierigkeiten, in der sich unsere Gesellschaft augenblicklich befindet, zumindest teilweise sieht. Aber Sie betrachten die Dinge, als würden sie in einem billigen Schundroman stehen. Schwarzweißmalerei. Ehrlich gesagt, Doktor, Sie enttäuschen mich. Der Tod einer großen Zahl von unbeteiligten Menschen ist bedauerlich, aber notwendig. Glauben Sie mir, durch dieses Leiden wird ein viel größeres Wohl kommen …“
    „Das, was Sie von mir halten“, unterbrach sie ihn ärgerlich, „wird mir keine schlaflosen Nächte bereiten. Und ich glaube kaum, daß Sie irgend etwas sagen oder tun könnten, das mich dazu bringen könnte, Sie auch nur im geringsten zu respektieren. Sie und Ihre Leute sind verantwortlich für den Tod und die Not von anderen Menschen, die nichts von Ihrer glorreichen Sache wissen und ganz bestimmt nicht bereit sind, dafür zu sterben. Alles, was sie wollen, ist aus den Gegebenheiten das Beste zu machen und zu leben. Aber Sie töten unschuldige Menschen, weil Sie angeblich ihr Bestes wollen, und dann erwarten Sie anscheinend auch noch Verständnis und Vergebung für Ihre Untaten. Das ist doch absurd! Ihre Taten sind nicht die von tapferen Freiheitskämpfern und Revolutionären. Ein Mensch, der unbewaffnete und nichtsahnende Mitmenschen umbringt, ist unter anderem ein elender Feigling!
    Aber das hier hat wohl nicht im Drehbuch gestanden“, fuhr sie fort, indem sie auf die Verletzten um sie herum wies. „Oder? Anstatt der erwarteten unbewaffneten und ohnmächtigen Bürger hat Sie die Stadtwacht erwischt. Sie haben ein bißchen was davon zurückbekommen, was Sie sonst so freizügig verteilen. Dann haben Sie sich die ärztliche Hilfe auf genau dieselbe Weise beschafft, wie Sie sich auch sonst alles beschaffen, indem Sie nämlich einen Unschuldigen …“
    „Das genügt!“ unterbrach er sie mit offener Wut. „Ich habe es endgültig satt, daß Sie mir hier Güte und Liebe predigen. Sie glauben also, Sie seien Mitglied einer großen und edlen Berufssparte, ein Heilender, der hart arbeitet, nur um Menschen zu helfen und Leiden erträglich zu machen, hab’ ich recht? Aber rechnen Sie doch mal nach, wie vielen Menschen Sie tatsächlich helfen. Fünfzig, vielleicht einhundert in der Woche? Und wollen Sie mir tatsächlich weismachen, daß Sie um jeden einzelnen, den Sie verlieren, trauern? Oder daß Sie die Leiden derer, die unter Behandlung stehen, teilen? Und die Milliarden Menschen, die auf der ganzen Welt von Hunger und Seuchen hinweggerafft werden – denken Sie an die überhaupt manchmal? Und würden Sie, wie ich es tue, zögern, eine gefährliche Operation oder einen gefährlichen Behandlungsweg einzuschlagen, wenn Sie denken würden, daß dies der einzige Weg sei, das Leben des Patienten zu verlängern?“
    Für einen Augenblick hielt er inne, dann fuhr er mit ruhigerer, aber immer noch zorniger Stimme fort: „Nein, an diese Dinge denken Sie nicht, weil Sie in einer schönen, bequemen, selbstzufriedenen Welt leben, in der Sie nur Gutes tun und man sehen kann, daß Sie nur Gutes tun. Sie beschäftigen sich selbst, damit Sie nicht an die Welt draußen denken müssen und an die Tatsache, daß Sie in Wirklichkeit kaum an der Oberfläche der Gesundheitsprobleme der Welt kratzen. Kurz gesagt, Doktor, Sie sind ein geschniegelter, selbstzufriedener Heuchler.“
    „Vielleicht kann ich nicht jedem auf der ganzen Welt helfen“, erwiderte die Frau bewegt, „aber zumindest habe ich bis jetzt noch nie wissentlich jemanden umgebracht. Und was ist das für ein krankes Hirn, das denkt, kaltblütiger Mord sei gut und die Heilung von Kranken sei schlecht?“
    „Ich glaube“, sagte der Mann brutal, „daß ein ganz bestimmter Mord Sie ganz besonders aufregt, und das ist der an Ihrem krankenwagenfahrenden Freund.“
    „Er war nicht mein Freund“, antwortete sie ruhig. „In unserer glänzenden, weißen, selbstzufriedenen Welt ist es nicht ungewöhnlich, daß Ärzte Schwestern heiraten. Das bedeutet auch, daß weibliche Ärzte männliche Pfleger heiraten.“
    Ein beklemmendes Schweigen folgte, dann sagte der Mann: „Das tut mir wirklich sehr leid. Das erklärt Ihre offene Feindseligkeit, sogar nachdem ich Ihnen versprochen habe, Sie sicher zurückzubringen. Aber wir haben etwas gemeinsam, Doktor, den Verlust von

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