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Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Titel: Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Hugo , Pößneck GGP Media GmbH
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Gestalten. Einer war jedoch davon ausgenommen. Seine Gesichtszüge waren fein, listig, klug, sein Mund zur Hälfte der eines Affen, zur andern Hälfte der eines Diplomaten. Der Kardinal ging ihm mit drei Schritten und einer tiefen Verbeugung entgegen, und dennoch hieß er nur Wilhelm Rym, Rat und Pensionär der Stadt Gent.
    Wenige Personen wußten, was er war. Ein seltener Geist, wäre er in den Zeiten einer Revolution im Strome vorangeschwommen; allein im fünfzehnten Jahrhundert ward er auf schleichende Intrigen und auf ein Leben in den Minen beschränkt, wie der Herzog von St. Simon sagt. Übrigens wußte der erste Minierer Europas ihn nach Verdienst zu schätzen. Rym intrigierte mit Ludwig XI. auf vertrautem Fuße und steckte oft seine Hand in die geheimen Arbeiten des Königs. Allein alle diese Dinge waren der Volksmenge unbekannt, die über die Höflichkeit des Kardinals gegen diese schmächtige Gestalt erstaunte.

4. Meister Jakob Coppenole
    Während der Ratsherr von Gent und die Eminenz beide eine tiefe Verbeugung austauschten und mit leiser Stimme einige Worte wechselten, erschien ein Mann von hohem Wuchs, mit breiten Schultern und großem Gesicht zugleich neben Rym, um einzutreten; er glich einem Bullenbeißer neben einem Fuchs. Seine Mütze von Filz und sein ledernes Wams stachen sonderbar gegen Samt und Seide ab, die ihn umgaben. Der Türhüter hielt ihn für einen verirrten Reitknecht und wies ihn zurück.
    „He, Freund, bleibt zurück!“
    Der Mann mit dem ledernen Wams stieß ihn mit der Schulter.
    „Was will der Schuft!“ rief er mit so lauter Stimme, daß die Worte im ganzen Saale widerhallten, während das Publikum auf dies sonderbare Zwiegespräch aufmerksam lauschte.
    „Siehst du nicht, wer ich bin?“
    „Euer Name?“ fragte der Türhüter.
    „Jakob Coppenole.“ – „Euer Stand?“ – „Strumpfmacher, im Schilde der drei Kettchen zu Gent.“ – Der Türhüter fuhr zurück. Es war noch erträglich, Schöffen oder Bürgermeister anzukündigen; aber einen Strumpfmacher, wie hart! Der Kardinal stand auf Dornen. Das ganze Publikum horchte und schaute. Schon zwei Tage quälte sich die Eminenz, jene flamländischen Bären zu lecken, um ihnen den notwendigen Anstand zu erteilen, dessen sie bedurften, um im Publikum zu erscheinen, aber jener Tölpel war doch zu hart! Wilhelm Rym aber nahte sich dem Türsteher mit seinem feinen Lächeln.
    „Kündigt Meister Jakob Coppenole, den Schreiber der Schöffen der Stadt Gent, an“, sagte er ihm ins Ohr. – „Türsteher“, rief der Kardinal mit lauter Stimme, „kündigt Meister Jakob Coppenole an, den Schreiber der Schöffen der durchlauchtigen Stadt Gent.“
    Das war ein Fehler. Wilhelm Rym hatte ganz allein die Schwierigkeit beseitigt, aber Coppenole hatte die Worte des Kardinals vernommen. „Nein, bei Gottes Kreuz“, rief er mit einer Donnerstimme; „Jakob Coppenole, Strumpfmacher! Hörst du, Türsteher? Nichts mehr, nichts weniger. Gottes Kreuz! Strumpfmacher ist schon genug. Der Herr Erzherzog hat mehr als einmal in meinem Laden seine Handschuh gekauft.“
    Gelächter und Beifallklatschen vernahm man von allen Seiten. Ein Witz wird stets in Paris verstanden und entbehrt deshalb nie des Beifalls. Hierzu kam noch, daß Coppenole zum Volke gehörte, und daß das ihn umgebende Publikum aus dem Volke bestand. Auch kam ihr gegenseitiges Verständnis schnell, elektrisch zustande, gleichsam als befänden sich alle auf einem ebenen Boden. Die hochfahrende Tölpelei des flamländischen Strumpfmachers, wie er die Hofleute in Verlegenheit brachte und demütigte, hatte in allen plebejischen Gemütern ein unbestimmtes und im fünfzehnten Jahrhundert noch nicht deutliches Gefühl von Würde erweckt. Jener Strumpfmacher war ja ihresgleichen und hielt dem Herrn Kardinal die Stange. Gewiß, ein süßer Gedanke für arme Teufel, die an Gehorsam und Achtung gegen die Diener der Sergeanten des Bailli, des Abtes von Ste. Geneviève, des Schleppenträgers Sr. Eminenz gewöhnt waren.
    Coppenole grüßte stolz die Eminenz, die dem mächtigen und von Ludwig XI. gefürchteten Bürger den Gruß erwiderte, während Wilhelm Rym, der verständige und boshafte Mann, wie Phillipp von Comines ihn nennt, beide mit spöttischem und überlegenem Lächeln betrachtete. Der Kardinal war außer Fassung und verdrießlich; Coppenole ruhig und hochfahrend, dachte vielleicht, sein Titel als Strumpfmacher sei ebensogut wie jeder andere, und Marie von Burgund, Mutter jener Margarete,

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