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Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Titel: Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victor Hugo , Pößneck GGP Media GmbH
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1. Der große Saal
    Am Morgen des 6. Januar 1482 erwachten die Pariser beim Lärm aller Glocken, die im dreifachen Bereiche der Altstadt, der Universität und der Südstadt sämtlich und laut erklangen. Übrigens ist dies kein Tag, dessen die Geschichte einer Erwähnung würdigte. In dem Ereignis, das seit der Morgenröte Bürger und Glocken von Paris in Bewegung setzte, lag eben nichts Außerordentliches, das der Aufzeichnung wert war. Es galt weder einen Sturm der Picardier oder Burgunder, noch einen Einzug unseres sehr gefürchteten Herrn, des Königs, noch endlich ein Hängen von Dieben oder Diebinnen von seiten der Gerichtsbarkeit zu Paris. Es war nicht einmal der einer Gesandtschaft, mit Stickerei und Federbüschen geschmückt. Erst vor zwei Tagen hatten die flamländischen Gesandten, welche die Ehe des Dauphins und der Margarete von Flandern schließen sollten, zum großen Verdruß des Kardinals von Bourbon ihren Einzug in Paris gehalten; denn dieser mußte dem König zu Gefallen den bäurischen Schwarm flamländischer Bürgermeister mit heiterem Antlitz empfangen und sie in seinem Hotel von Bourbon mit einem sehr schönen Moralitäts-, Lust- und Possenspiel bewirten, während ein Platzregen seine prächtigen Wandteppiche vor seiner Tür überschwemmte.
    Am 6. Januar war das ganze Volk von Paris, wie Jehan von Troyes erzählt, durch eine doppelte, seit undenklichen Zeiten vereinigte Feier in Bewegung gesetzt, durch den Tag der heiligen drei Könige und das Narrenfest. An dem Tage brannte ein Freudenfeuer auf dem Grèveplatz; ein Maibaum war an der Kapelle von Braque aufgepflanzt, und ein Mysterium wurde im Justizpalast gegeben. Am Tage vorher war dies auf den Kreuzwegen von den Leuten des Herrn Prévot, in schönen Röcken von veilchenblauem Kamelott mit weißen Kreuzen auf der Brust, öffentlich ausgerufen worden. Häuser und Buden waren geschlossen und das Gedränge der Bürger und Bürgerinnen wogte schon seit dem Morgen von allen Seiten auf einen der bezeichneten Orte zu. Jeglicher hatte sich seinen Platz schon gewählt, der eine das Freudenfeuer, der andere den Maibaum, ein anderer das Mysterium. Zum Ruhme des alten gesunden Menschenverstandes der Pariser Maulaffen müssen wir hier berichten, daß der größere Teil des Gedränges zum Freudenfeuer, das für die Jahreszeit durchaus sich geeignete, oder zum Mysterium hinwogte, das im wohlverschlossenen und bedeckten Hauptsaale des Palais gegeben werden sollte. Die Neugierigen waren sämtlich übereingekommen, den armen Maibaum ohne Blütenschmuck ganz allein im Januarwinde auf dem Kirchhof der Kapelle von Braque klappern zu lassen.
    Hauptsächlich strömte das Volk in die Zugänge des Justizpalastes; denn man wußte, die vor zwei Tagen angekommenen flamländischen Gesandten würden bei der Vorstellung des Mysteriums und bei der Wahl des Narrenpapstes, die ebenfalls im Hauptsaal des Palais geschehen sollte, gegenwärtig sein.
    Es war nicht leicht in das Innere zu dringen, obgleich der Saal damals für den größten bedeckten Raum in der ganzen Welt galt. Der mit Volk gefüllte Platz vor dem Palast bot den Neugierigen an den Fenstern der Häuser den Anblick eines Meeres, wohin fünf oder sechs Straßen, gleich Mündungen von Flüssen, stets neue Fluten von Köpfen ausgossen. Die Wogen dieses stets schwellenden Gedränges brachen sich an den Ecken der Häuser, die hier und da gleich Vorgebirgen in das unregelmäßige Becken des Platzes vorsprangen. Im Mittelpunkt der gotischen Vorderseite des Palastes wogte auf der großen Treppe ein doppelter Strom Hinauf- und Hinabsteigender auf und nieder, der, nachdem er sich unter dem mittleren Auftritt gebrochen, in breiten Wellen die Seitenabhänge hinabfloß. So rieselte es die Haupttreppe hinab unaufhörlich auf den Platz, wie ein Wasserfall in einen See. Geschrei, Lachen, Trampeln von tausend Füßen erweckte ungeheuren Lärm. Von Zeit zu Zeit ward dieser verdoppelt; der Strom, der das Gedränge zur Haupttreppe trieb, brauste zurück und wirbelte. Der Rippenstoß eines Bogenschützen oder das Pferd eines Sergeanten der Prévoté, der die Ordnung wiederherstellte, verursachte diese Wirren. An den Türen, an den Fenstern, zu den Dachluken heraus, auf den Dächern wimmelten zu Tausenden wackere Bürgerfiguren, ruhig und ehrenfest, den Palast, die Menge anguckend, ohne weitere Ansprüche; denn von der Pariserschaft begnügt sich die Mehrzahl, nur die Zuschauer zu beschauen; eine Mauer, hinter der sich irgend etwas

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