Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame
die Coppenole heute verheiratete, hätte vielleicht ihn als Kardinal weniger gefürchtet, wie als Strumpfmacher; denn kein Kardinal hätte die Genter gegen die Günstlinge der Tochter Karls des Kühnen in Aufruhr gebracht, kein Kardinal hätte die Volksmasse mit einem Wort gegen ihre Bitten und Tränen gestählt, als die Herrin von Flandern ihr Volk am Fuße des Schafotts um ihr Leben anflehte; während der Strumpfmacher nur seinen Ellenbogen zu erheben brauchte, damit die Köpfe der erlauchten Herren Guy von Hymbercourt und Kanzler Wilhelm Hugonet auf den Boden rollten.
Übrigens war für den armen Kardinal noch nicht alles vorbei; er mußte den bittern Kelch, in so schlechter Gesellschaft sich zu befinden, bis auf die Hefe leeren. Der Leser hat gewiß den frechen Bettler noch nicht vergessen, der im Anfange des Gesprächs sich an die Fransen der Galerie des Kardinals angeklammert hatte. Die Ankunft der erhabenen Gäste brachte ihn durchaus nicht dahin, sie loszulassen; während die Prälaten und Gesandten sich als flamländische Heringe auf den Stühlen der Tribüne zusammenpackten, hatte er seine Beine gemächlich über den Balken gekreuzt. Die Unverschämtheit war unerhört; auch war er niemand im ersten Augenblicke, solange die Aufmerksamkeit von andern Dingen in Anspruch genommen wurde, aufgefallen. Er seinerseits merkte durchaus nichts; er wiegte sein Haupt mit der Sorglosigkeit eines Neapolitaners und wiederholte von Zeit zu Zeit maschinenmäßig: „Habt Erbarmen!“ Auch war er wahrscheinlich der einzige im ganzen Publikum, der bei dem Zank des Türstehers mit Coppenole nicht einmal geruht hatte, das Haupt zu wenden. Nun wollte der Zufall, daß der Meister Strumpfmacher aus Gent, mit dem das Volk schon so lebhaft sympathisierte, in der ersten Reihe der Galerie und zwar gerade über dem Bettler sich niedersetzte. Man erstaunte nicht wenig, als man erblickte, wie der flamländische Gesandte, nachdem er den Bettler unter seinen Augen genau betrachtet hatte, ihn freundschaftlich auf die mit Lumpen bedeckte Schulter klopfte. Der Bettler drehte sich um, Überraschung, Wiedererkennung, Herzensergießung prägte sich auf beiden Gesichtern aus; dann knüpfte der Strumpfmacher mit dem Bettler leise ein Gespräch an, ohne sich um die übrigen Zuschauer zu bekümmern; beide drückten sich die Hände, und die Lumpen Clopins brachten, auf dem goldgewirkten Brokat der Estrade ausgebreitet, denselben Eindruck hervor, wie eine Raupe auf einer Orange.
Die Neuheit dieses sonderbaren Auftritts erweckte einen so fröhlichen Lärm im Saale, daß der Kardinal ihn bald bemerken mußte; er lehnte sich hinüber, und da er von seinem Sitze aus nur unvollkommen den schmutzigen Kittel des Bettlers sehen konnte, glaubte er natürlich, der Bettler bitte um Almosen, und rief, empört über die Keckheit: „Herr Bailli des Palais, werft den Schuft in den Fluß!“
„Gottes Kreuz, Herr Kardinal“, rief Coppenole, ohne die Hand Clopins fahren zu lassen, „er ist einer meiner Freunde!“
„Brav! Brav!“ rief die Masse, und von dem Augenblick an besaß Meister Coppenole in Paris wie in Gent großen Kredit beim Volk; denn Leuten nach seinem Schnitt bleibt er nie aus, wenn sie so täppisch sind, wie Philipp von Comines sagt. Der Kardinal biß sich auf die Lippen. Er neigte sich zu seinem Nachbar, dem Abt von Ste. Geneviève, und sagte mit halblauter Stimme: „Schöne Gesandten schickt uns der Herr Erzherzog, um Madame Margarete anzukündigen.“ – „Eure Eminenz“, erwiderte der Abbé, „verliert Ihre Höflichkeit bei diesen flamländischen Schweinerüsseln. Margaritas ante porcos.“
„O nein“, sagte lächelnd der Kardinal. „Porcos ante Margaritam.“
Der kleine Hof im Chorrock war über dies Wortspiel entzückt; der Kardinal fühlte einige Erleichterung, denn mit Coppenole war er quitt; auch sein Witz fand Beifall.
Jetzt mögen diejenigen unserer Leser, die imstande sind, sich ein Bild oder eine Idee zu verallgemeinern, wie es im heutigen Stile heißt, die Frage erlauben, ob sie sich eine deutliche Vorstellung von dem Schauspiele bilden, welches das weite Rechteck des großen Saales in dem Augenblicke, bei dem wir verweilen, darbot. Mitten im Saal stand, an die westliche Mauer gelehnt, eine prächtige und breite Galerie mit Goldbrokat, auf die eine Menge von ernsten Personen, angekündigt von der kreischenden Stimme des Türhüters, durch eine kleine gotische Tür eingetreten waren. In den ersten Reihen saßen viel
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