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Der Glucksbringer

Der Glucksbringer

Titel: Der Glucksbringer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilding Lynne
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dröhnte. Der Überfall. Die Schlägerei. Schließlich besann er sich wieder. Ähnlich Mosaiksteinchen, setzten sich die winzigen Erinnerungsteile zu einem stimmigen Ganzen zusammen. Was hatte einer der Angreifer noch zu ihm gesagt? Dass sie ihm eine Nachricht beibringen sollten? Aber von wem? Intuitiv, wie eine dunkle Ahnung, griff er mit der unverletzten Hand in seine Hosentasche. Sobald
er das kleine Päckchen ertastete und das kühle Metall unter dem Samt spürte, schwante ihm, was es war. Die Topasbrosche.
    Gütiger Himmel, Corinne. Wie von Geisterhand umschlossen, krampfte sich sein Herz schmerzvoll zusammen. Seine süße, bezaubernde Corinne.
    Er versuchte die Augen zu öffnen, aber seine Lider waren durch den Schweiß und das eingetrocknete Blut verklebt. Sein linker Arm schmerzte höllisch, und er konnte ihn nicht heben. Das Atmen fiel ihm schwer, als quetschte ihm ein Mühlstein den Brustkorb zusammen. Mit den Fingern der rechten Hand zog er die verklebten Augenwimpern auseinander und spähte um sich. Vernietete Eisenwände, ein gleichmäßiges Stampfen und Rollen, Wellenschlag. Ein Schiff. Er befand sich im Rumpf irgendeines Schiffes.
    Von Panik überwältigt, schob er das Stück Segeltuch beiseite, worunter sie ihn versteckt hatten, und bemühte sich aufzustehen. Ihm wurde erneut schwindlig. Er taumelte, stürzte auf den verletzten Arm. Fühlte einen lähmenden Schmerz und wäre um ein Haar wieder ohnmächtig geworden. Mit dem Rücken an eine der Schiffswände gestemmt, rappelte er sich unbeholfen auf und stakste benommen zu dem Lichtschein, der durch einen langen Gang fiel. Eine Eisentür mit einem Bullauge sprang mit rostigem Knirschen auf. Ein Mann starrte ihn mit einer Mischung aus Fassungslosigkeit und Entsetzen an.
    » Mon Dieu , ein blinder Passagier! Le Capitaine wird darüber nicht begeistert sein.«
    »Himmel noch, wo bin ich, und wohin fährt dieses Schiff?«, krächzte Liam.
    »Sie befinden sich an Bord der Marie Antoinette , die
Kurs auf Südamerika nimmt und von dort aus weiter nach Australien segelt.«
    »Wann legen wir das erste Mal an? Los, machen Sie schon, nennen Sie mir den Hafen, Mann!«
    Der Seemann verzog seine Mundwinkel zu einem sarkastischen Grinsen. »In Rio de Janeiro, in etwa fünf Wochen, wenn das Wetter mitspielt.«

4
    G anz Sydney schien in Festtagsstimmung – alle bis auf Liam Westaway. Der junge Mann hatte für die Weihnachtsdekorationen und Auslagen in den Ladenfenstern an der George Street nur ein grimmiges Lächeln übrig. Sah er sein Spiegelbild in den reflektierenden Scheiben, schlug er die Augen nieder. Weil er bisweilen vor seinem eigenen Anblick zurückschrak, und das, obwohl der heimtückische Überfall auf ihn inzwischen acht Monate zurücklag. Wenn auch nicht übermäßig eitel, hatte er sich früher der Tatsache erfreut, dass er ein attraktiver Mann war. Inzwischen würde ihn vermutlich nicht mal mehr seine eigene Mutter wiedererkennen. Seine Häscher hatten ihm die Nase gebrochen, und um die unschöne, ausgezackte Narbe auf seiner Wange zu kaschieren, trug er einen Bart. Er konnte den linken Arm nicht mehr richtig bewegen, weil die Muskulatur verkümmert war. Die gebrochenen Rippen waren zwar verheilt, und er konnte wieder normal atmen, trotzdem wirkte er leicht rachitisch mit seinen nach vorn geneigten Schultern.
    Der Kapitän hatte darauf bestanden, dass er während
des monatelangen Aufenthalts an Bord der Marie Antoinette arbeitete und damit seine Passage über den Atlantik und Pazifik ausglich. Liam fand das trotz seines gebrochenen Arms und der angeknacksten Rippen nur fair, zumal er heilfroh war, dass der Kapitän ihm glaubte, dass man ihn zusammengeschlagen und bewusstlos an Bord geschleppt hatte. Die Arbeit war erträglich, für sein Empfinden jedoch zu eintönig. Das Leben auf See war nichts für ihn. Folglich hatte er sich in Singapur einen gefälschten Pass besorgt und war in Sydney von Bord gegangen. Seitdem hauste er in einem heruntergekommenen Pensionszimmer, in dem es von Ungeziefer wimmelte, und hielt sich mit Gelegenheitsjobs auf den Werften über Wasser. Er lebte von der Hand in den Mund und ernährte sich, wenn sein Geld für ein billiges Essen in einer der Hafenspelunken nicht mehr reichte, von den Fischen, die er im Hafenbecken fing.
    Auf der Marie Antoinette hatte er lange überlegt, ob er nach Irland zurückkehren, Corinne heimlich aufsuchen und mit ihr gemeinsam ausreißen sollte. Aber was konnte er ihr noch bieten? Ein zerschundenes

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