Der Glucksbringer
Handfläche. »Ich wünsch mir so sehr ein Kind. Das ist mein sehnlichster Wunsch im Leben.«
Liam Westaway legte die winzige Pinzette auf die Werkbank zurück und rieb sich die müden Augen. Es war Abend, und die winterliche Kälte drang durch sämtliche Ritzen der kleinen Werkstatt, wo er Uhren reparierte und Schmuckstücke fertigte. Er knöpfte sich die dicke Wolljacke bis zum Hals zu und stampfte mit den Füßen am Boden auf, um die Kälte aus den Gliedern zu verscheuchen.
Zum Glück war es noch rechtzeitig fertig geworden, seufzte er zufrieden. Er rückte die kleine Gaslampe ein wenig näher zu sich heran und betrachtete das Schmuckstück von allen Seiten, woraufhin der geschliffene Topas in der filigranen Silberfassung aufblitzte, die so fein gearbeitet war wie das Stück Brüsseler Spitze, das er sich zum Muster genommen hatte. Er hätte zwar viel lieber achtzehnkarätiges Gold verwendet, aber das war wegen der Burenkriege in Südafrika unerschwinglich teuer geworden.
Es war das schönste Schmuckstück, das er je gefertigt hatte. Wie zur Bekräftigung nickte er. Eine Brosche für die Frau, die er liebte. Ein Geburtstagsgeschenk als Pfand für seine große Liebe. Bei dem Gedanken an Corinne O’Mara umspielte ein Lächeln seine Mundwinkel. Ihre langen lockigen Haare waren goldbraun und weich fließend wie Honig, ihr Teint zart wie die cremefarbene Seide, die er in Shaugnessys’ Stoffgeschäft gesehen hatte, und ihre Augen – war es ein Wunder, dass sie mit dem Topas um die Wette funkelten? Nein, genau
diese Ähnlichkeit hatte ihn nämlich dazu bewogen, den prachtvollen Stein auf einer Edelsteinbörse zu kaufen, als er das letzte Mal in Dublin gewesen war.
Leises Schlurfen, gefolgt von dem notorischen Ächzen der altersschwachen Türscharniere signalisierte ihm, dass seine Mutter im Anmarsch war.
»Und, ist sie fertig?«, wollte Rosemary Westaway wissen. Elfenhaft klein und schmächtig, musste sie sich auf Zehenspitzen stellen, um ihrem Sohn über die Schulter schauen und das eben fertig gestellte Schmuckstück bewundern zu können.
»Ja, Ma. Und ich finde, es ist meine schönste Kreation.«
»Das ist es zweifellos, mein Junge. Und mit viel Liebe gemacht.« Rosemary nahm ihm die Brosche aus der Hand. »Sie ist wunderschön, Liam.« Ihre Augen strahlten voller Bewunderung über die Begabung ihres Sohnes. Ich möchte, dass du auf der Rückseite etwas eingravierst. Hier.« Sie fischte ein Stück Papier aus ihrer Schürzentasche, legte es auf die Arbeitsfläche und glättete es umständlich mit dem Handballen. »Es ist ein Zauberspruch, und er wird der Trägerin«, sie stockte, »Glück bringen. Schreibe ihn genau so, wie er hier steht, sonst wirkt er nicht.«
»Ma, du weißt genau, dass ich nicht an solchen Hokuspokus glaube.« Ihr Sohn blickte auf die Worte in gälischer Sprache.
Rosemary musterte ihn scharf. Seiner Statur nach hätte man bei Liam eher auf einen Bauern als auf einen Goldschmied getippt. Er war jetzt neunzehn, ein attraktiver junger Mann mit schwarzen Locken, grünen Augen und dem olivfarbenen Teint, den er von der Seite ihrer Familie geerbt hatte. Silberne und goldene Reifen
klirrten leise an ihrem Handgelenk, als sie warnend den Zeigefinger hob: »Du magst dich zwar noch darüber lustig machen, aber eines Tages wirst du das anders sehen, mein Junge.« Sie legte abwartend den Kopf schief. »Und, tust du mir jetzt den Gefallen?«
Trotz ihrer zarten, unscheinbaren Statur besaß Rosemary Westaway ungeahnte Präsenz und einen eisernen Willen, weshalb ihr die Dorfbewohner genau das entgegenbrachten, worauf sie am meisten Wert legte: Respekt. Immerhin ging das Gerücht, dass Rosemary gewiss ihre Finger im Spiel hätte, wenn die Kühe plötzlich keine Milch mehr gaben oder Frauen unfruchtbar blieben.
Ihre Stimme duldete wie üblich keinen Widerspruch, und Liam nickte. Es war bei Weitem bequemer, ihren Wünschen nachzugeben, zumal sie ohnedies keine Ruhe geben würde. Sein Pa, Jerome Westaway, Gott sei seiner Seele gnädig, war ein duldsamer, verständnisvoller Mann gewesen. Er hatte sich damals den kleinen Liam vorgeknöpft und ihm erklärt, dass er die Mutter gewähren lassen und ihr nachgeben solle – es sei ja nicht oft, dass sie auf irgendetwas beharre -, damit der Haussegen niemals schiefhänge.
»Ich mach es morgen früh bei Tageslicht.«
»Gut. Dann komm.« Sie zupfte an seinem wärmenden Überzieher. »Das Abendessen ist fertig.«
Der Markttag auf dem Dorfplatz fiel
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