Der glücklose Therapeut - Roman
eine tolle Idee war, sich in jemanden zu verlieben, der bipolar ist. Ich habe dich gefragt, was ich tun kann, nachdem ich mich bereits in einen solchen Menschen verliebt habe. Und wenn du besser aufpassen würdest, hättest du vielleicht auch einen Blick für Moms Kummer. Dann müsste sie sich nicht so aufführen, wie sie es tut … Hast du überhaupt jemals darüber nachgedacht? Oder denkst du nur an dich und dein eigenes Leid? Ist das das Einzige? «
Sie stand auf und wandte sich zum Gehen. » Kein Wunder, dass dir die Leute davonlaufen. « Sie warf sich ihre Tasche über die Schulter und marschierte zur Tür. » Ich fahre jetzt zu Mom. « Wie versteinert blieb ich am Tisch sitzen. Ich hörte die Tür zuknallen. Dann sprang ich auf und lief hinter ihr her. Sie saß im Auto und hantierte ungeschickt mit den Schlüsseln.
» Sam « , rief ich. » Warte. « Ich rannte zu ihr, riss die Beifahrertür auf und setzte mich neben sie.
Sam seufzte vernehmlich und legte ihre Hände in den Schoß, die Schultern hochgezogen und die Augen geschlossen. » Was ist? Was ist? «
» Du hast mich nicht nach meinem Rat als Psychologe gefragt « , sagte ich.
» Was soll das? «
» Du hast mich nach meinem Rat als Vater gefragt, aber du hast mich nicht gefragt, was ich als Psychologe dazu meine. «
» Komm schon, Dad. Bitte. «
» Ich möchte, dass du mich als Psychologen um Rat fragst « , sagte ich. » Bitte. «
Sie richtete sich in ihrem Sitz auf und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen. » Und wie lautet dein Rat als Psychologe? « , fragte sie lakonisch.
Ich holte tief Luft. » Als Psychologe sage ich, dass es sich bei Bipolarität um eine ernsthafte Erkrankung handelt, die sich mit der Zeit verschlimmern kann. Als Psychologe kann ich dir sagen, dass er wahrscheinlich irgendwann wieder einmal einen Schub haben wird. Unsere goldene Regel lautet: Die Vergangenheit sagt die Zukunft voraus. Als Psychologe halte ich es für wichtig, dass du dir bewusst bist, worauf du dich hier einlässt. Ein Mensch in einer manischen Episode kann völlig unvorhersehbare Dinge tun und sehr zerstörerisch sein, gegenüber sich selbst und gegenüber denen, die er liebt … «
» Und ein normaler Mensch kann das nicht? « Sie warf mir einen dunklen, durchdringenden Blick zu.
Wir saßen da, ohne etwas zu sagen.
» Du baust dein Haus am Fuß eines Vulkans « , sagte ich schließlich. » Und ja, Menschen tun das. Doch eine derartige Entscheidung sollte mit offenen Augen getroffen werden, obwohl selbst offene Augen nicht besonders weit in die Zukunft blicken können. Doch als Psychologe sage ich dir, dass es sich bei einer psychischen Erkrankung nicht um ein Todesurteil handelt, nicht um eine Sünde und nicht um ein Verbrechen. Wir alle sind verletzt. Dein Mann ist nicht seine Krankheit. Dein Mann ist dein Mann. Als Psychologe bin ich dagegen, psychisch Kranke auszuschließen. Ich bin dagegen, sie zu dämonisieren. Als Psychologe versuche ich, ihnen zu helfen. Ich versuche es … ich versuche es … « Plötzlich brach meine Stimme.
Stille.
» Danke, Dad. «
Dann saßen wir lange da und schwiegen.
» Ich wünsche mir eine schlichte Feier « , sagte sie plötzlich. » Nur die Familie und Freunde. Im botanischen Garten, wo wir immer hingegangen sind, als ich noch klein war. Wir sind dort durch das Heckenlabyrinth neben dem Skulpturengarten gewandert, erinnerst du dich? Erinnerst du dich auch an die Schmetterlingsausstellung, als sie in dem Gewächshaus Hunderte von Schmetterlingen fliegen ließen? Und an die Fische im Teich, die alle auf einen zuschwammen? Erinnerst du dich noch, wie du mir Skinner und seine Gesetze erklärt hast? Und dann gab es noch diese riesigen Glaskugeln im Wasser – sie waren genauso bunt wie die Fische. Dort möchte ich heiraten, in diesem Glashaus. Mom findet es eine großartige Idee. «
» Eine großartige Idee « , sagte ich. » Sag Mom, dass ich einverstanden bin. «
Sie nickte. » Mom hat gesagt, ich soll dir sagen, dass du auch Grandpa mitbringen sollst « , sagte sie.
» Sie hat gesagt, du sollst mir das sagen? «
» Sie sagte, du würdest es so wollen. Wie auch immer, ich möchte, dass er kommt. «
43
A m nächsten Morgen schlief ich lange. Gegen Mittag ging ich meinen Vater besuchen. Draußen goss es ohne Unterlass, und wir mussten im Haus bleiben, in seinem kleinen Zimmer. Er saß auf dem Bett, starrte ausdruckslos auf den leeren Bildschirm und murmelte etwas vor sich hin. Ich saß still auf
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