Der Gluecksmacher
schwindelig, vermutlich vom abrupten Hinunterbeugen.
Als er zehn Minuten später an der Kasse stand, war sein Einkaufskorb bis oben hin gefüllt mit Glück. Nach dem Fiasko mit dem spiegelnden Buch hatte er sich nicht länger mit Schmökern aufgehalten, stattdessen sämtliche Bücher in den Korb geworfen, in deren Titel das Wort
Glück
vorkam oder deren Verfasser als große Philosophen galten.
Die Frau an der Kasse war jung, und so sprach Dimsch sie vorsorglich nicht an. Stattdessen senkte er den Blick und tat, als würde er in seiner Geldbörse die Scheine zählen. Hätte Dimsch kiloweise Pornohefte gekauft, es wäre ihm kaum peinlicher gewesen. Die Bücher, die für ihn über den Scanner gezogen wurden, trugen verräterische Titel: »
Wegweiser zum Glück«,
»
So wirst du glücklich«, »Glücklicher, verzweifle nicht«.
Und allesamt waren sie sphärisch gestaltet, vornehmlich in den Farben Violett, Rosa, Orange und Gelb, illustriert mit aufgehenden Sonnen, am Himmel ziehenden Wolken, lächelnden Gesichtern feenhafter Frauen, manche gar mit Engelsflügeln bestückt. Hochnotpeinlich war, was er da zusammengetragen hatte. Doch keines der Bücher war so peinlich wie der Seelenzustand, den sie anzeigten. Mit jedem Exemplar, mit jedem Piepton der Kasse musste der Verkäuferin doch deutlicher werden, welch erbarmungswürdiges Menschlein da vor ihr stand. Wenn er wenigstens heute, ein letztes Mal noch, Anzug und Krawatte getragen hätte, das wäre ihm Rüstung und Panzer gewesen. Aber nein, seine Garderobe hatte er ja in Bausch und Bogen wegbringen müssen. Nun stand er da wie nackt. Völlig ausgeliefert, in Schlabberpullover und Jeans.
Herrgott Sakrament!
Dimsch schüttelte den Kopf über sich.
Wieder ein Piepton, wieder ein Exemplar. Der Menge an Glücks-Büchern zufolge musste er nahe der blanken Verzweiflung sein, wie Dimsch nun bewusst wurde, so an der Kasse stehend und eine Warteschlange an Kunden hinter sich verursachend.
Die Kassiererin sah kurz auf und musste lächeln. Sympathisch, dieser schlaksige Typ, dachte sie. Ein bisschen wie ein zerfledderter Kranich im Pullover, aber sympathisch.
Als Dimsch riskierte, den Blick nach oben zu richten – irgendwann musste es ja sein –, bemerkte er erleichtert, dass nicht mehr der esoterische Kitsch, sondern bereits die seriösen Philosophen über den Tisch gezogen wurden. Aristoteles, Platon, Sokrates, Epikur, Kant, Nietzsche. Er sah in die Augen der jungen Frau an der Kasse. Ihr Lächeln gab ihm weitere Zuversicht. Doch nur bis es in ein Schmunzeln überging, sie belustigt den Kopf schüttelte und viel zu laut sagte: »Da haben Sie sich ja einiges vorgenommen.«
Gewiss auch für den Letzten in der Warteschlange gut sichtbar, streckte sie ein rosarotes Büchlein in die Höhe:
»Glücklich werden. Bitte, ich will!«
4
Als Sebastian Dimsch seine Frau Sophie und seine beiden Kleinen an diesem Morgen zum Abschied küsste, fühlte er es. Und als er das Haus verließ, um mit der Straßenbahn zu seinem Arbeitsplatz zu fahren, in die Zentrale der Versicherungsanstalt, hielt das Gefühl an. Es war wohl eine Mischung aus Tatendrang und Vorfreude aufs Glück. Freilich nicht der Arbeit wegen, auch nicht hervorgerufen von der angenehmen Frische dieses Morgens oder den Sonnenstrahlen, die durch die Baumkronen blitzten und im Gewebe seines wuscheligen Pullovers versickerten. Zu verdanken hatte er jenes Gefühl, das von der Leibesmitte aus seinen Körper durchflutete und ihm eine geradezu übermütige Spannung verlieh: seiner prall gefüllten Aktentasche.
Während des Lustwandelns die Straße hinunter schien es Dimsch, als ob sich an diesem Morgen selbst die Sonne ausschließlich für diese wunderbare Üppigkeit erwärmte. Ja, es war ihm, als ob dieser ganze blitzblanke Tag samt seiner herrlich kopfdurchlüftenden Frische vom Inhalt dieser, seiner Tasche herrührte. Dimsch strich mit der flachen Hand über das weiche, von der kantigen Ladung ausgebeulte Leder. Und da war er gewiss: Bereits das pure Vorhandensein dieser klugen Bücher übte eine belebende Kraft aus. So sehr wie heute hatte er sich, kurz sann er darüber nach, noch nie auf einen Arbeitstag gefreut. Gleich nachdem er im Büro angekommen war, würde er loslegen, würde er beginnen zu lesen.
Sophie hatte das Stimmungshoch ihres Mannes sehr wohl bemerkt, sich aber entschieden, Sebastian vorerst nicht darauf anzusprechen. Ohnehin glaubte sie, die Ursache seiner selten guten Laune zu kennen. In einem geradezu
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