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Der Gluecksmacher

Der Gluecksmacher

Titel: Der Gluecksmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Sautner
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selbstgefälligen Unzufriedenheit.
    Visionsschwer blickte Dimsch damals vor sich hin, nickte und schaffte es mit Mühe, den Finger aus dem gezwirbelten Haarknäuel zu lösen. Ein Anfang war getan.

2
    Zehn Jahre war es her, dass Dimsch entschieden hatte, dem Provinzleben zu entfliehen, dem Bier zu entsagen und überhaupt aller Oberflächlichkeit. Wie geplant, war er in die Großstadt gezogen und hatte dort nach zwei Jobs ausgerechnet in der Zentrale jener Versicherungsanstalt Arbeit gefunden, deren Zweigstelle ihn einst gefeuert hatte.
    Den Weg der Weisheit hatte Dimsch zwar nicht beschritten, dafür war er mit Elan in kunterbunt einladende Sackgassen marschiert. Das Hineingeraten in die neue, laute Welt rechtfertigte er damit, dass ihm nach dem Verlust der einfältigen Glückseligkeit nur zwei Möglichkeiten offenstünden: Entweder konnte er fortan ein asketischer und ebenso tief- wietrübsinniger Mensch sein oder sich die Dramatik für später aufheben und vorerst einmal das Großstadtleben genießen. Dimsch entschied sich – nach zähem innerem Ringen – zugunsten des Genusses.
    Der innere Stillstand indes wurde getarnt. Statt wie früher Jeans und Pullover trug er eng geschnittene schwarze Anzüge und blütenweiße Hemden, dazu schmale, dunkle Krawatten. Er hatte ein neues, ein wichtigeres Leben begonnen, konnte sich dessen jeden Morgen vergewissern, wenn er in den Spiegel sah. Sah er nicht in den Spiegel, genoss Dimsch blindlings, fuhr zusammen bei jedem neuen Höhepunkt und musste sich irgendwann schließlich eingestehen, dass auch die Glücksquellen der Großstadt versiegten: der Genuss aus Küche und Keller, das Nachtleben samt Glücksspiel und Eroberung der Damenwelt, Adrenalinkicks im Job, der Rausch des Geldverdienens sowieso. Alle Karten hatte er ausgespielt, sämtliche Optionen aufs Glück verprasst. Und war dabei unbemerkt in einem Alter angekommen, in dem große Pläne, Verweise auf später und Ausreden auf zu Erwartendes nicht mehr glaubhaft klingen wollten. Das Später war schon.
    Nicht nur, dass er kein Fußballprofi, Rockstar, Schauspieler mehr werden würde, selbst der für gewöhnlich realistischste Kick, die berufliche Karriere, kam nicht weiter in Frage. Keinerlei Interesse übte sie mehr aus, seit er in der Versicherungszentrale am Zenit des Möglichen angelangt war, was den nötigen Mix aus Buckeln, Schleimen, Ellenbogentechnik anbelangte, wie er sich sagte, und was seine Kompetenz betraf, worauf er nicht eigens einging.
    Auch seine Rolle als Ehemann und zweifacher Jungvater verschaffte Dimsch, wie verblüffend, kein Abo auf Wolke Sieben. Vielmehr hatte er damit die ohnehin abenteuerliche Hochschaubahn des Lebens um mehrere halsbrecherische Potenzenerhöht. Das überfallartige Auf und Ab durchschüttelte ihm Herz, Hirn, Magen und sämtliche übrigen Eingeweide.
    Die einzig verbliebene Möglichkeit, durch und durch beständiges Glück zu erreichen, kam Dimsch auf eine gut abgelegte Idee zurück, schien ein Leben nach den Gesetzen der Weisen. Lange genug hatte er sich vor der Unmöglichkeit gedrückt, nun, ja nun endlich würde er damit beginnen.
    Es war beileibe kein großer Anlass, der sein Vorhaben auslöste, vielmehr eine geradezu flatterhafte Nebensächlichkeit. An Dimschs letztem Urlaubstag – seine Frau und die beiden Kleinen waren längst aus dem Haus und nur er noch lag im Bett –, übernahm eine profane Stubenfliege das Dimsche Erweckungserlebnis. Mit impertinenter Ausdauer steppte sie auf seiner Nase herum, säuberte sich, geschäftig lebensfroh.
    Da fasste Dimsch seinen Entschluss. Und am selben Tag entschied er zudem, wer ihn zum großen Glück führen würde, wen er gedachte, in der Angelegenheit zu konsultieren. Auserkoren hatte er das denkbar sachverständigste Personal. Jesus und Buddha, Sokrates und Platon, Konfuzius, Kant und Kollegen würde er befragen, ja, die größten Weisen aller Zeiten. Gewiss würden ihre Erkenntnisse ihn geradewegs zur gottgleichen Unbeschwertheit geleiten.
    Dimsch ging in eine Buchhandlung.

    Fortan trug er wieder Jeans und Pullover. Er hatte das alte Zeug aus dem Kasten hervorgekramt, es mit den Händen befühlt, sein Gesicht darin vergraben. Gut fühlte es sich an, gut roch es. Einfach und ehrlich, wie nach daheim. Dimsch war froh. Seine dunklen Anzüge, weißen Hemden, schmalen Krawatten stopfte er in einem Anfall von Tatendrang allesamt in Plastiksäcke. Laut im Auto singend und euphorisch die Drums auf dem Lenkrad schlagend, fuhr er sie zur

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