Der Gluecksmacher
entscheiden. Spätestens nach dem dritten Lagerbier aus Dimschs Picknickbox sah das auch der letzte Zweifler ein.
Die Phase des beschwingt Glücklichseins war während eines heißen Sommertags zu Ende gegangen. Eine imposante Bierschwade definierte eben herb und schwer die Büroluft, die Stimmung war entsprechend heiter, und alles war gut undwunderbar, als Kipfler, ganz gegen seine Gewohnheiten, viel zu früh den Ort des Glücks betrat. Augenblicklich stellte sich heraus: Ein humorloser Teil der Menschheit beharrte stur auf seiner angestammten Realität, wollte sich partout nicht zu Lockerheit verleiten lassen, geschweige denn zum Glücklichsein, zog statt dessen vor, die Bastion der Engstirnigkeit zu verteidigen – auf das Energischste und wutentbrannt.
»Herrgott Sakrament!«, donnerte Kipfler an diesem Tag viele Male, und Dimsch verteidigte sich mit: »Herrgott Sakrament, so schlimm ist das doch nicht!«
Das Entlassungsschreiben, welches Kipfler am nächsten Morgen (noch vor der Törtchen- und Kaffeehaustour) einer seiner Sekretärinnen diktierte, bescheinigte Dimsch dreierlei: Mangel an Anstand, Dreistigkeit sowie das Untergraben jeglicher Arbeitsmoral.
Statt eines Jobs hatte Dimsch nun reichlich Freizeit. Vornehmlich nutzte er sie, um noch öfter in Bierseligkeit zu schwelgen.
Je großzügiger er sich der Trunkenheit aber hingab, desto schaler schmeckte sie. Immer weniger wertvoll fühlte sie sich an. Letztlich konnte Dimsch noch so sehr zum Umsatzvolumen seiner Lieblingsbrauerei beitragen, das Hochgefühl blieb aus.
Dimsch löste ohne große Überzeugung ein Etikett nach dem anderen von den Leerflaschen, die sich über die vergangenen Monate angesammelt hatten. Als er das letzte abgezogen hatte und inmitten eines knöchelhohen Sees aus Papierschnipseln saß, war er so weit, bewertete die Leichtlebigkeit infolge des Konsums von Lagerbier als minderwertig.
War Glücklichsein dank derart seichter Mittel überhaupt akzeptabel gewesen? Konnte es als
wahrhaftiges
Glücklichseingelten? Nein, entschied er, nun, da ihn das Hochgefühl verlassen hatte.
Oder hatte er das Glücklichsein lediglich überstrapaziert? Büßte das Glück mit der Zeit womöglich an Kraft ein, mutierte zu … wertlosem Glück? Das hieße – Dimsch streckte sich inmitten der Schnipsel der Länge nach aus und vollführte eigentümlich anmutende Schwimmbewegungen –, das hieße doch, dass der Mensch verdammt war, früher oder später unglücklich zu sein!
Zweifellos: Dimsch hatte sich in unbekannte Gewässer manövriert. Und die Wellen, die seine Überlegungen ausgelöst hatten, drohten ihm jede akzeptable Perspektive zu nehmen, schwappten höher und höher. Wirbelnde Gedanken hatten sich seiner bemächtigt, befanden sich in reißendem Fluss und trieben Dimsch unaufhörlich und rasant. Einem Stückchen dürren Holz glich er, das glitt, ausgeliefert, zum tobend nahen Wasserfall. Nur Sekunden später passierte es: Dimsch fiel, fiel rauschend tief, stellte sich die denkbar folgenschwerste Frage, jene nach dem beständigem, dem
wahren
Glück.
Er wusste damals zwar nicht, wonach exakt er suchte, aber hier – er kringelte eine Haarsträhne um seinen Zeigefinger –, hier in der Provinz, in diesem Kaff würde er es bestimmt nicht finden. Hier war er doch nur umgeben von Gewöhnlichem, war eingekesselt von Alltagsmenschen, die, kamen sie in die Jahre, nicht lange gelebt, sondern lediglich viel Zeit zugebracht hatten. Rasch weg musste er von hier, rasch genug, um nicht angesteckt zu werden. Denn verführerisch war es schon, dieses Dahinleben abseits jedes größeren Gedankens und damit jeder Qual.
Doch ihm, dramatisch schnaufte er durch, ihm war diese Leichtfertigkeit nicht gegeben, ihn zwang sein Verstand woandershin.Lebensrelevantes Wissen musste er sammeln, den Dingen auf den Grund gehen. Am besten sei wohl – Dimsch wickelte ein weiteres Haarbüschel um den Finger – rasch weise zu werden. Und der geradlinigste Weg zur Weisheit – er intensivierte die Drehbewegung –, der geradlinigste Weg führte schnurstracks raus, raus aus der Provinz. Schleunigst fliehen musste er vor diesem Menschenschlag, mit dem nicht zu reden war außer über Einfachstes und der sich bedenkenlos zufriedengab mit Einfachstem. Ihn, Sebastian Dimsch, zog es ins Gegenteil, dorthin, wo die Menschen mehr wollten, immer mehr und sich nie und nimmer zufriedengaben. In die Großstadt zog es ihn, den Ort des sich genussvoll geißelnden Intellekts und der
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