Der goldene Thron
waren, die ihn gerettet hatten, oder seine kindliche Unschuld, wusste er nicht zu sagen. Irgendetwas aber musste den König an jenem Tag gerührt haben, denn er hatte ihn verschont.
»Wenn du einmal ein berühmter Ritter werden willst, dann musst du nicht nur Treue und Tapferkeit zu deinen Eigenschaften zählen, sondern auch Besonnenheit. Sie gehört zu den drei wichtigsten Tugenden, die ein Ritter besitzen muss«, hatte der König ihm erklärt und seinem Sohn einen kurzen, aber vielsagenden Blick zugeworfen.
Guillaumes Wange zuckte. Noch lange nach seinem Tod hatte man sich von Prinz Eustache erzählt, dass er ein Hitzkopf gewesen war, der sich mehr als einmal durch unüberlegtes Handeln in Schwierigkeiten gebracht hatte.
»Treue, Tapferkeit und Besonnenheit«, flüsterte Guillaume mit rauer Stimme. Genau diese Eigenschaften hatten eine große Königin und fünf gesalbte Könige an ihm zu schätzen gewusst. Ein schmerzerfülltes Stöhnen entwich seiner Brust. Er konnte mehr als zufrieden mit seinem Leben sein. Es war aufregend und großartig gewesen. Er hatte geliebt und war geliebt worden, wurde es noch! Er hatte sich Achtung erkämpft und tiefe, treue Freundschaften erlebt. Nahezu all seine Wünsche waren in Erfüllung gegangen, er hatte wunderbare Söhne und Töchter, war seinem Herrn stets treu gewesen und hatte sich großzügig sowohl gegenüber den Menschen als auch der Kirche gezeigt, so, wie es von einem Mann in seiner Position erwartet wurde.
Guillaume warf einen letzten Blick auf die geschnitzte Truhe am Fußende seines Lagers. Die seidene Decke, die er vor über dreißig Jahren im Heiligen Land erstanden hatte, wartete nur darauf, hervorgeholt zu werden, um seinen Sarg zu schmücken. Jean, seinen treuen Freund Jean d’Erlée, hatte er für diese Aufgabe auserkoren. Alles war, wie es sein musste. Er würde noch regeln, was zu regeln war, verteilen, was zu verteilen war, seinen Letzten Willen erklären und dann seinen letzten Gang antreten, in Würde und mit Glanz.
Tancarville im November 1162
A ufstehen, du Faulpelz!« Ein heftiger Tritt traf Guillaume am Rücken. Er fuhr hoch und sprang auf die Füße, bevor ihn ein zweiter erwischen konnte, schwankte kurz und kniff die Augen zusammen. Die Fackel vor seinem Gesicht blendete ihn, doch er musste nicht sehen können, um zu wissen, wer ihn so unsanft weckte. Es war Ours, der Fechtmeister. Er hieß nicht nur so, er stank auch wie ein Bär. Guillaumes Magen krampfte sich vor Aufregung zusammen. Seit Wochen schon schlief er nicht mehr bei seinem Herrn in der Kammer, sondern dicht an die anderen älteren Pagen gedrängt in diesem zugigen Stall. Beinahe jede Nacht wurde einer von ihnen aus dem Schlaf gerissen und fortgeführt. In der Hoffnung, endlich an der Reihe zu sein, fanden die Jungen kaum zur Ruhe. Sogar Guillaume, der sonst überall tief und fest schlafen konnte, war oft mitten in der Nacht aufgeschreckt, hatte in die Dunkelheit gestarrt und gehorcht, ob jemand kam, um ihn zu holen. Nun war es endlich so weit. Der Tag seiner letzten Prüfung als Page war gekommen.
»Folge mir!«, befahl der Fechtmeister.
Guillaume gehorchte und schüttelte den rechten Arm. Seine Hand war taub und fühlte sich an, als gehörte sie nicht zu ihm.
Die kühle Luft, die ihm draußen entgegenschlug, prickelte in der Nase, und für einen Moment glaubte er, niesen zu müssen. Schweigend lief er dem Schein der Fackel nach. Erst als der Fechtmeister kurz vor dem Burgtor auf einen Baumstumpf deutete, fiel ein Lichtschein auf sein grimmiges Gesicht.
»Rauf da, Hände hinter dem Rücken falten und den hierhalten!«, befahl er knapp und holte einen prall gefüllten Sandsack hinter dem Baumstumpf hervor. Er war nicht größer als der Kopf eines Kleinkindes und wohl kaum schwerer. »Lass den Burschen nicht aus den Augen!«, befahl der Fechtmeister einem der beiden Torwächter. »Bis zum Mittagsläuten darf er nicht herabsteigen. Ich lege mich wieder aufs Ohr.« Ours wandte sich ab. »Sollte er vorzeitig aufgeben, dann lass mich wecken!«
»Wie üblich, Sir. Wünsche, wohl zu ruhen«, rief der Wachsoldat ihm nach, und als der Fechtmeister fort war, trat er grinsend an Guillaume heran. »Wird eine lange Nacht werden, Söhnchen, und ein verdammt noch mal viel längerer Morgen! Hoffe, du hast nicht zu viel getrunken vor dem Schlafengehen!« Dann lachte er dröhnend und kehrte zu dem zweiten Wachtposten am Tor zurück.
Der Nachthimmel war vollkommen schwarz. Als spannte sich
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