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Der Goldkocher

Der Goldkocher

Titel: Der Goldkocher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Adloff
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hinter sich lassen würde. Jetzt wurde er hinausgestoßen aus einer Welt, in der er sich immer fremd gefühlt hatte; und er wurde nun in die andere Welt gestoßen, in die er sich immer gewünscht hatte, aber gleichzeitig auch fürchtete. Lips hatte den Erzählungen in der Schenke über die Wittischen immer ganz aufmerksam gelauscht und alles genau beobachtet, wenn er mit Rotkopf Besorgungen in der nahen Residenzstadt Stollberg gemacht hatte. Die Torschreiber wussten ohne nachzufragen, dass sie aus der Grabich-Schenke waren. Sie ließen sie die Jacken weit auseinanderschlagen, die Taschen umkehren und verlangten jedesmal genaue Auskunft, was sie in der Stadt wollten. Sie durchwühlten ihre Wandersäcke und ließen sich die Münzen für den Einkauf zeigen. Wenn Lips und Rotkopf dann neugierig durch die Gassen des Städtchens streiften, trafen sie misstrauische Blicke. Türen wurden zugeschlagen, Augen folgten ihnen auf Schritt und Tritt, und im Kaufmannsladen durften sie nicht die Auslagen anschauen, sondern mussten vor dem Ladenbrett stehen und ihre Hände darauf legen. »Galgenvögel«, schimpfte sie der Kaufmann, wog die Münzen prüfend in der Hand und kratzte mit dem Fingernagel am Silber, ob nicht unter einer dünnen Schicht Kupfer darunter war.
    ***
    »Komm schon!«, rief die Mutter.
    Jetzt gab es kein Zurück mehr, und Lips wurde bange vor der ungewissen Zukunft. Er atmete noch einmal tief durch und wusste, dass dies der letzte Blick auf den Ort seines Herkommens war. Abrupt drehte er um und lief hinter der Mutter her, die schon vorausschwankte.

2
    Sie schlichen auf Nebenwegen und suchten Deckung im Unterholz. Immer wieder horchte Lips in den Wald, sodass sie nur langsam vorankamen. Die Mutter wurde immer gereizter, weil ihr der Branntwein fehlte. Sie zeigte Lips den Zinken, das geheime Diebeszeichen, von Tullian. Mit zittriger Hand malte sie einen Pfeil auf den Boden, an dessen Ende sich zwei Striche kreuzten. An jeder Weggabelung ließ ihn die Mutter die Umgebung nach dem Zinken absuchen. Lips fand aber nur andere Gaunerzinken, deren Bedeutung er sich abgesehen hatte, wenn in der Grabich-Schenke die neuen Mitglieder der Bande die Diebeszeichen gelehrt wurden. Ein Viereck mit einem Punkt bedeutete, dass der Bewohner des nächsten Hauses brutal war; fehlte der Punkt, dann wurde Bettlern nichts gegeben. Eine Zick-Zack-Linie warnte vor einem scharfen Hund, und bei vier senkrecht und waagerecht gekreuzten Strichen drohte Verhaftung. Die meisten Zinken, die Lips fand, waren schon in der Baumrinde vernarbt oder auf Stein gekratzt und ganz verwaschen.
    Am Nachmittag sahen sie dann auf das Dorf Oelsnitz herunter.
    »Siehst du Soldaten?«, fragte die Mutter in harschem Ton. Ihr Blick schweifte nervös suchend umher, als läge im Wald vielleicht irgendwo eine verloren gegangene Flasche Branntwein herum!
    Lips strengte die Augen an. »Nein, nichts.«
    »Wir warten, bis es dunkel ist. Gehen dann zum Sulzer runter.«
    Die Mutter schickte ihn wieder los, um alle Wege um das Dorf herum auf den Zinken des Vaters abzusuchen. Lips fand kein Lebenszeichen des Vaters und wusste auch nicht zu sagen, was er dann getan hätte, denn er wollte doch die Welt der Kochemer hinter sich lassen! Als es dunkel war, schlichen sie hinunter. Der Hof vom Sulzer lag etwas abseits. Als sie näher kamen, schlug ein Bullenbeißer an, die Haustür ging auf, und Lips sah einen Mann mit einem Gewehr in der Hand in das Dunkel spähen.
    »Weiter«, sagte die Mutter. »Ist der Sulzer. Einer von uns.«
    »Wer ist da?«, rief Sulzer.
    »Sind Kochemer!«, rief die Mutter und preschte weiter. Der Bullenbeißer sprang gegen das Seil und kläffte. »Bin die Marie, bin ich doch!«, rief sie. »Tullians Marie.«
    »Bist du verrückt geworden!«, rief Sulzer und lief ihnen entgegen. »Schnell in die Scheune. Und keinen Muckser mehr!«
    Sie hockten im Dunkel der Scheune, bis Sulzer mit einem Talglicht, Brot und Dünnbier kam. »Es ist alles voller Soldaten. Eine Nacht, dann müsst ihr weg.«
    »Hab 'ne Kugel im Kopp.« Die Mutter stöhnte und zog ein schmerzverzerrtes Gesicht. »Ich muss zu einem Barbier, die Kugel rausgraben.«
    »Unmöglich!«, sagte Sulzer. »Das ist zu gefährlich! Jeder Barbier wird dich sofort bei der Obrigkeit anzeigen.«
    »Soll ich denn verrecken!«, raunzte ihn die Mutter an. »Dann hol einen her. Die Kugel kann doch nicht im Kopp bleiben, kann die doch nicht.«
    »Leise doch!« Sulzer rieb sich die Kopfhaut, die stark schuppte. »Nein,

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