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Der Goldkocher

Der Goldkocher

Titel: Der Goldkocher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Adloff
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kreisen. »Die verfluchte Kugel! Jetzt halt mich doch!«
    Lips bekam Angst, wie er die Mutter beobachtete, und wusste nicht, was er machen sollte. Er kniete sich zu ihr und zögerte etwas, sie an den Schultern zu fassen, und es dauerte eine Weile, bis sie wieder aufstehen konnte. Dann brachen sie auf. Nach Kossin also.
    ***
    Anfangs mieden sie die großen Straßen und schlichen in weiten Bögen um die Städte und Dörfer. Sie kamen nur langsam voran. Begegneten ihnen Fußreisende oder Kutschen, dann versuchte Lips, möglichst große Entfernung zu halten, oder sie verbargen sich am Wegesrand, bis die Reisenden vorüber waren. In Bächen versuchte er Fische mit der Hand zu fangen, aber die meisten entglitten ihm. Der Hunger nagte.
    Die beste Zeit zum Stehlen war mittags, wenn in den Bauernhäusern die Familien mit dem Gesinde zu Tisch saßen und das Gebet gesprochen wurde. Er kundschaftete aus, wo Leitern herumlagen, Fenster offen standen und ob Hunde wachten. Meist waren alle Türen sorgsam verriegelt, aber manchmal konnte er durch eine Nebentür ins Haus schleichen und etwas zum Anziehen oder zu essen stehlen. Manches konnte er beim nächsten Gehöft gegen Branntwein eintauschen. Die Mutter trank dann in großen Schlucken, das Zittern und Gliederschlagen ließ für einige Zeit nach, und sie kamen wieder besser voran, aber immer öfter mussten sie anhalten, weil der Mutter taumelig wurde, alles um sie herum kreiste und sie sich auf den Boden legen musste. Plötzlich blieb ihr das Augenlicht ganz weg. Sie hielt die Arme Hilfe suchend vorgestreckt und griff ins Leere, als wolle sie Blindekuh spielen. Lips zögerte einen Augenblick, dann nahm er ihre Hand und wollte die Mutter führen, aber sie schlug trotzig seine Hand aus und stolperte weiter in die falsche Richtung.
    »Aufgepasst hast du nicht! Nein, hast du nicht!« Sie ging weiter, kam ins Straucheln, und er konnte sie noch auffangen. Er fasste sie am Ärmel und führte sie, was sie sich jetzt gefallen ließ. Das Augenlicht kam nach einiger Zeit wieder, so unvermittelt, wie es weggeblieben war. Einmal rief sie »Lorenz« hinter ihm her, sodass Lips wieder ganz bange wurde, denn Meister Lorenz wurde der Scharfrichter der Grafschaft Stollberg gerufen.
    Auf jedem Richtplatz, den sie passierten, suchte er nach dem Vater. Wenn er unter den Galgen und Rädern mit den abtropfenden Kadavern herumging und sich die Nase wegen des süßlichen Leichengestanks zuhielt, atmete er ganz flach und sah in die verwitterten Gesichter der Gerichteten. Er fürchtete sich davor, den Vater zu finden; aber, so sagte er sich, dann wüsste er endlich, dass es ein Ende mit diesem genommen hatte, und er müsste nicht mehr nach ihm suchen, auch keine Angst mehr haben. Er war hin und her gerissen und dann auch wieder erleichtert, ihn nicht auf dem Richtplatz gefunden zu haben, weil es schließlich ja doch sein Vater war, und, so sagte er sich, er hatte ja auch nicht aufgepasst beim Wachestehen. Und ein Haupträuber musste doch auch auf eine Ordnung Acht geben! Da hatte die Mutter schon Recht.
    Und er musste daran denken, wie stolz er manchmal auf den Vater gewesen war. Die Stimme von Lotter-Stoffel klang ihm im Ohr. »Auf den größten Haupträuber aller Zeiten!«, rief dieser. Die Männer standen nacheinander auf, prosteten dem Vater zu und verbeugten sich ehrenhalber. Der wartete, bis Frieder sich streng nach der Reihe als Letzter erhob. Lips sah stolz zum Vater auf, der wie ein hoher Herr mit erhobenem Krug dastand, die Gesundheiten auf sich entgegennahm, einem nach dem anderen zunickte. Zum Schluss Frieder.
    Und warum musste Arnold denn auch die anderen betrügen! Dieses verfluchte Würfeln, sagte er sich, das war an allem schuld. Bücher wollte Arnold vom Gewinn kaufen, so versprach er immer, aber warum musste er dann so lange würfeln, bis alle Münzen wieder verspielt waren und sie wieder das Silber und Gold, das Arnold für die Bande einschmolz, verpanschen mussten! »Diebsgeschmeiß«, schimpfte Arnold die Männer, wobei es jedesmal in Lips gestochen hatte. Aber Arnold hatte doch selbst gestohlen! Und der Vater konnte sich doch nicht bestehlen lassen!
    ***
    Sie erreichten Dresden. Hierhin auf die Festung hatten sie, wie Sulzer meinte, die Gefangenen gebracht, und wenn inzwischen jemand gerichtet worden war, dann musste er hier am wahrscheinlichsten zu finden sein. Der Richtplatz vor dem Stadttor war mit Kadavern wohlbestückt, aber der Vater war nicht unter den Gerichteten. Lips nahm

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