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Der Goldkocher

Der Goldkocher

Titel: Der Goldkocher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Adloff
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in der Tür stand.
    »Seid ihr verrückt geworden!«, schrie Tullian in die Schenke. »Hab doch gesagt, dass jetzt immer einer auf Wache muss!« Er drehte wieder um, und kurz darauf schrie draußen ein Mann mit gequälter Stimme auf. Dann trug der Vater einen Mann, der in Hand- und Fußeisen geschlossen war, auf seinen Schultern in die Schenke. Die Männer traten still zurück. Mitten im Raum blieb Lips Tullian einen Augenblick mit dem geschulterten Mann stehen, dann ließ er ihn auf den Bretterboden krachen. Der Mann schrie auf, wand sich auf dem Boden, heulte und winselte gequält.
    »Das ist ja der Safrans-Georg!«, rief Lips' Mutter. Hinter ihrem Rücken hielt sie die Branntwein-Flasche versteckt.
    Die Frauen kamen aus der Küche, und die Kinder drängten sich neugierig durch die Beine der Erwachsenen.
    »Bin zu spät gekommen«, sagte Tullian noch außer Atem. »Die hatten schon mit ihm rumgekaspert.« Er beugte sich hinunter und riss das mit Blut verkrustete Hosenkleid vom Safrans-Georg mit einem Ratsch entzwei.
    Lotter-Stoffel kam mit der Talgfunzel und beleuchtete das lädierte Bein von Safrans-Georg. Das Schienbein war ganz geschwollen und zerschunden, das Fleisch hing blauschwarz und roh herab, und Gewürm schlängelte sich in der Kniekehle.
    »Und da, die Daumen haben sie ihm platt gemacht«, sagte Prager. »Ist wohl nichts mehr mit dem Schreiben für uns!« Er zog an der Handkette, sodass die Hände in die Höhe zeigten. Safrans-Georg heulte gequält auf.
    Lips wollte sich vom Anblick des Gefolterten abwenden, aber Frieder stand hinter ihm und hielt ihn fest am Arm. »Hiergeblieben!«, befahl er. »Guck's dir an, wie sie es mit 'nem Blattscheißer halten! Ist nicht zu spaßen mit den Wittischen da draußen.« Zu Tullian gewandt fragte er: »Wo hast du den rausgeholt?«
    »War in Tronitz bei Dresden, kleines Bauerndorf, da hat er beim Saufen 'nem Pfaffen eine aufs Maul gehauen. Hat auch noch groß getönt dabei. Einer hat ihn erkannt. Safrans-Georg hätt' seinem Bruder mal 'ne Kugel durch die Därme gejagt. Sie wollten ihn heute nach Dresden bringen. Zum Verhör auf die Festung.«
    »Wie hast du ihn rausgeholt?«, fragte Frieder.
    »Hab ein paar Gäule besorgt. Ging ganz einfach: Am Hinterfenster ein paar Stricke an das Gitter und den Gäulen um die Hälse gebunden. Hab mich nach vorne geschlichen zum Wachhaus, dann denen eine Brandbombe vom Lips vor den Arsch. Als die Bombe hochging, ein Krachen und Blitzen, hab so was noch nicht gesehen! Die Gäule gingen durch, selbst der Teufel hätte die nicht aufgehalten! Ein Ruck, raus war gleich die ganze Wand!«
    Für einen Augenblick sah Lips stolz zu seinem Vater.
    »Und Safrans-Georg, der hat uns verraten?«, fragte Frieder.
    »Nein, nein, bestimmt nicht!«, rief Safrans-Georg mit schwacher Stimme und versuchte auf allen vieren wegzukriechen. Die Umstehenden wichen wie eine Wand zurück. Der Vater stand über ihm und stieß ihn mit dem Brecheisen. Safrans-Georg fiel zur Seite, winselte auf und wand sich. »Nur falsche Fährten hab ich gelegt. Nichts von uns hier, kein Wort.«
    »Wir müssen Gericht halten«, sagte der Vater.
    »Verfluchter Hundsfott!« Frieder zog Rotz. »Hab den Kerl schon lange auf der Pike gehabt.«
    »Weiß nicht, was die Memme alles erzählt hat«, sagte Tullian zu Frieder gewandt. »Lass alle herkommen. Ohne Ausnahme. Auch die Kinder, holt mir die Grabich-Oma her. Alle will ich hier sehen, verstanden!«
    »Die Oma ist krank!«, rief die Grabich-Wirtin. »Die liegt im Bett.«
    »Ist mir egal!«, schrie Tullian. »Dann tragt die meinetwegen im Bett her. Aber erst mal muss einer raus auf den Posten. Frieder, ich hab dir doch gesagt, dass immer einer…«
    Lips bekam von Frieder einen Stoß von hinten.
    »Er hier soll gehen«, unterbrach Frieder gereizt. »Muss sowieso was mit dir besprechen.«
    Lips sah fragend zwischen Frieder und dem Vater hin und her, die gegenseitig ihre Blicke mieden.
    »Nun mach schon!«, sagte der Vater unwirsch. »Hört einfach nicht, der Junge.«
    Lips sah im Hinausgehen, wie Tullian sich zu Safrans-Georg hinunterbeugte, der die Hände schützend vor das Gesicht hielt. »Zu uns gehört man für immer. Oder hast du uns etwa abgeschworen?«
    Als Lips die Tür zum Schankraum hinter sich zuzog, hörte er den Vater »Verräter!« rufen, kurz darauf noch einen gellenden, sich spitz überschlagenden Schrei.
    Draußen kündigte sich ein nasser Novembertag an. In den Kastanienbäumen vor der Grabich-Schenke hingen noch

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