Der Gorilla - die letzten schwarzen Riesen im Kongo
schwarzen Kopf zwischen den Blättern. Das struppige Fell umrahmt das Gesicht des Gorillaweibchens in wirren Büscheln und gibt die faltige Haut um Augen, Nase und Mund frei. Neugier spricht aus ihrer Miene. Trotzdem blickt sie zu Boden. Sie weiß, dass der Gorillamann direktes Anstarren als aggressiven Akt auffassen könnte. Kabirizi verharrt unschlüssig. Soll er sich zu voller Größe aufrichten oder soll er so tun, als ob er gar nichts bemerkt hätte? Doch für Letzteres hat er schon zu lange in Richtung des Weibchens geblickt. Also kann es sicher nicht schaden, die ganze Pracht seines Körpers zur Schau zu stellen. Mit einer Geschmeidigkeit, die man seinem massigen Körper nicht zugetraut hätte, wuchtet er sich auf Hände und Füße. Die Bewegung erinnert an einen Schwer gewichtsringer, der sich nach einem gekonnten Wurf von der Trainingsmatte erhebt. Kabirizis Augen fixieren das Weibchen kurz, um schnell ein neues Ziel zu suchen. Dann wandert sein Blick wieder zu ihr, nur um gleich darauf erneut Blätter, den Boden oder die Baumwipfel zu fixieren. Das Weibchen schaut dagegen stur nach unten. Kabirizi zerkaut die letzten Stängel, die sich noch zwischen seinen Zähnen befinden, dann saugt er die Waldluft tief in seine Nase.
Da ist etwas. Sein Körper spannt sich. Kabirizi wittert erneut, indem er einen noch tieferen Atemzug macht. Er kennt diesen Geruch, den er schon in seiner Familie gerochen hat. Wenn dieser Duft in der Luft lag, musste man bei seinem Vater vorsichtig sein. Machte man eine falsche Bewegung, näherte man sich vor allem jenen Weibchen, von denen dieser Geruch ausging, dann war eine Abreibung sicher.
Als Kabirizi noch sehr jung war, nahm er diesen Duft kaum wahr. Als er aber heranwuchs, war irgendwann eine magische Schwelle überschritten. Das wurde Kabirizi schmerzlich bewusst, als er, umweht von eben jenem Geruch, der nun auch seine Nase reizte, plötzlich seinem wütenden Vater gegenüberstand. Noch ehe er wusste, wie ihm geschah, war der Silberrücken schon an ihm vorbeigepoltert, zerbrach Äste, stieß einen zornigen Schrei aus und lief dann auf seinen Hinterbeinen, laut auf seine Brust trommelnd, durchs Gehölz. Verdutzt hatte Kabirizi die Szene beobachtet und war immer noch wie vom Donner gerührt, als sein Vater zurückkam. Kabirizi ahnte, dass ihm sein Erzeuger nur eine Lektion erteilen wollte. Das verringerte aber nicht den Schmerz in seinem rechten Bein, über das der Vater bei seinem zweiten Wutausbruch gestolpert war. Kabirizi flüchtete sich darauf in die Sicherheit des Waldes. Weit genug von der Gruppe entfernt, in der Höhlung eines verfaulten Baumstamms saß er und wartete, dass der Zorn seines Vaters verrauchte und die Anspannung in seinem Körper und der Schmerz in seinem Bein nachließen. Dieser Geruch und sein Vater, so hatte er recht bald zu lernen, waren zwei Dinge, denen man sich besser nicht gleichzeitig aussetzen sollte. Als ausgewachsener Silberrücken kann er diesem Duft allerdings nicht mehr widerstehen.
Das Weibchen sitzt immer noch regungslos im Gebüsch, und Kabirizi macht ein, zwei Schritte in ihre Richtung. Nichts passiert. Der Gorillamann nähert sich ihr immer weiter. Jetzt sind es nur noch wenige Meter bis zu jenem Busch, aus dem sie herauslugt. Doch plötzlich schwillt aus dem Wald hinter ihnen ein lautes Krachen. Das Getöse kann nur einen Urheber haben, das ist Kabirizi sofort klar. Mit einer kraftvollen, aber keineswegs hektischen Drehung wendet er sich dem Silberrücken zu, der da zweifelsohne die Lichtung betritt.
Es ist nicht, wie Kabirizi erwartet, das Familienoberhaupt Ndungutse, der ihm nun gegenübersteht, sondern dessen Bruder. Der zeigt sich jedoch nicht minder verärgert über den Eindringling. Mit angespannten Muskeln präsentieren sich die beiden Kolosse jeweils eine Breitseite ihres Körpers, strecken ihr Kreuz, blähen Bauch und Brustkorb auf, zeigen ihre mit langem, zottigem Fell bewachsenen Arme und ihren gewaltigen Nacken. Mürrisch blicken sich die beiden Duellanten an. Kabirizi sieht sofort, dass er es mit einem starken Gegner zu tun hat. Er taxiert das Männchen genau. Er schätzt dessen Kraft ab, versucht die Entschlossenheit des Kontrahenten zu erkennen und die eigene zu stärken, indem er nach Schwächen in dessen Auftritt Ausschau hält. Lange Minuten stehen die beiden kampfbereiten Gorillas auf der Lichtung. Keiner der beiden bemerkt, wie sich die Büsche rund um sie langsam mit Zuschauern füllen. Die Schaulustigen drängen
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