101 Nacht: Aus dem Arabischen erstmals ins Deutsche übertragen von Claudia Ott nach der Handschrift des Aga Khan Museums (German Edition)
Im Namen Gottes, des Gnädigen, des Barmherzigen.
Gott segne unseren Herrn und Gebieter Muhammad, seine Familie und seine Gefährten, und schenke ihnen Frieden.
Anfang des Buches mit der Geschichte von Hundertundeiner Nacht
Der Überlieferer dieser Geschichte erzählt :
Es war einmal ein König in Indien. Er herrschte mit Macht über sein Volk, genoss Ansehen unter seinen Zeitgenossen, lenkte die Geschicke seines Reiches wohl und war gerecht gegen seine Untertanen. Seine Gerechtigkeit beschirmte sie, und seine Güte umhüllte sie ganz.
DerKönighieltjedesJahreinenFesttagab,andemerdasVolkmitSpeisenundGetränkenbewirtete.WennnundasVolkdasEssenverzehrtunddenWeingetrunkenhatteundallesattgewordenwaren,zogsichderKönigfüreineWeileinseinenPalastzurück,umetwasspäterherrschaftlichgeschmücktwiedervorseinVolkzutreten,eineKroneaufdemHaupt,zurRechtenundzurLinkenseineDiener,undmitdenprächtigstenGewändernangetan.SozogerindenThronsaalein.ErließsichaufseinemKönigsthronnieder,undauchseineWesireundseinHofstaatdurftensichsetzen.NunpflegtederKönignacheinemSpiegelzufragen,unddieserwurdevorihngestellt.DerKönigbetrachtetedarinseinGesichtundfragte dann: ~ Kennt ihr irgendjemanden auf der Welt, der schöner ist als ich?
~ Aber nein, bei Gott! Einen solchen kennen wir nicht, pflegten sie zu antworten, und der König frohlockte und war zufrieden.
So verhielt es sich mit ihm, und so gefiel er sich selbst, bis eines Tages ein alter Scheich auf ihn zukam und ihn ansprach: ~ Hüte dich vor Eitelkeit, o König, solang noch Frauen Kinder kriegen. Ich habe alle Länder und Gegenden besucht, bin über Land gereist und über die Meere gefahren. In der Stadt Chorasân traf ich auf einen jungen Mann, einen von den Kaufmannssöhnen, der herzzerreißend schön ist und glänzt wie strahlendes Licht!
Er berichtet weiter:
~ Weißt du, was du da sagst, Alter?, ereiferte sich der König, als er das gehört hatte.
~ Ich sage nichts, als was ich selbst gesehen habe, mein Gebieter, entgegnete der Alte.
~ Wie kann ich es anfangen, fragte der König zurück, ~ diesen jungen Mann zu uns zu holen, um ihn mir ansehen und deinen Worten Glauben schenken zu können? Denn ich schwöre bei Gott, der allein würdig ist, verehrt zu werden: Ist er tatsächlich schöner als ich, wie du behauptest, so lasse ich dir Geld in Hülle und Fülle aushändigen und nehme dich zum Gesellschafter. Wenn es sich aber anders verhält, bekommst du meine Rache zu spüren!
~ Er wird nicht zu dir kommen, o König, gab der Alte zu bedenken, ~ außer für viel Geld, Geschenke und mit einer klugen List.
~ Das sollst du haben, entschied der König.
Und so befahl der König , die Schätze Indiens wie Perlen und Edelsteine, Moschus und Amber und alle anderen Kostbarkeiten, die für das Land Babel geeignet schienen, herbeizuschaffen. Nachdem das geschehen war, ließ er alles auf ein Schiff verladen, das eigens hierfür gebaut worden war, und Ausrüstung, Wegzehrung und Trinkwasser, so viel benötigt wurde, Matrosen und anderes mehr an Bord bringen. Sobald die Ladung vollständig war, bestieg der Scheich das Schiff und segelte mit seiner Mannschaft unter gutem Wind davon, bis Chorasân in Sicht kam. Sie fuhren in den Hafen ein und warfen die Anker aus. Der Scheich ging von Bord, lud seine Waren und Schätze ab und überließ das Schiff der Obhut eines seiner Männer. Dann mietete er Lasttiere, auf die er alles aufpackte, was er mitgebracht hatte, und zog in Richtung der Stadt Chorasân. Nachdem er in die Stadt gekommen war, mietete er eine Dachwohnung in einer Herberge. Dort bezog er Quartier und ruhte sich aus.
Drei Tage später ging der Scheich hinunter auf den Markt der Parfümhändler, um den Laden des hübschen Jünglings aufzusuchen. Dessen Name war Sahr al-Basatîn, das bedeutet: «Blüte der Gärten», Sohn des Abdallah Ibn Abinnûr. Gleich nach seiner Ankunft begrüßte ihn der Vater des Jungen und nahm ihm gegenüber Platz. Der Junge aber blickte dem Scheich direkt ins Gesicht. Er saß neben seinem Vater auf einer Matte aus Brokat. Um seinen Kopf war ein roter Turban geschlungen. Sein Antlitz funkelte perlenhell, wie der Dichter sagt – wenn ihr den Segen sprecht über unseren Herrn Muhammad, Gott segne ihn und schenke ihm Frieden! – So sagt der Dichter:
Lässt die Wange seinen Turban leuchten? Oder färbt der rote
Turban sein Gesicht?
Wie der Vollmond sind die beiden, welcher stehen blieb im letzten
Abendlicht.
Wenn der Junge aufsteht, wie der Vollmond aufgeht,
Weitere Kostenlose Bücher