Der Grabritter (German Edition)
Aufschrei würde durch alle Nationen gehen. Die Welt würde den Atem anhalten. Nicht aber hier in Afrika. Zu viele profitierten. Zu wenig Kraft hatte dieses Land, um sich aus den Klauen der mächtigen Drahtzieher zu befreien und zu schwach waren die Stimmen der j enigen, die etwas verändern wollten. Es war noch früh am Morgen und erst allmählich kam Bewegung in das Lager. Bewaffnete Rebellensoldaten von schwarzer Hautfarbe versammelten sich um ein mitten im Camp angefachtes Lagerfeuer.
Ihr Anführer, ein großer Mann mit brutalen Gesichtszügen und einer tiefen Narbe auf der linken Gesichtshälfte, trieb die Männer an, zusammenzukommen. Als sich der Trupp um ihn herum versammelt hatte, ergriff das Narbengesicht, der von den anderen nur mit General angesprochen wurde, das Wort. Noch einmal schärfte er seinen Leuten die Vorgehensweise ein, die er für den Überfall geplant hatte. Ihr Ziel war ein nahe gelegenes kongolesisches Dorf, in dem zu diesem Zeitpunkt noch niemand etwas von dem Bevorstehenden ahnte. Die Männer standen im Kreis um den General herum und erhielten die letzten Instruktionen für ihr unaussprechliches Vorhaben. Ein Blick in ihre toten Augen verriet, dass in diesen Soldaten keine Seele mehr wohnte. Keine moralische Instanz beeinflusste noch ihr Handeln. Nur der blinde, mit grausamer Gewalt erzwungene Gehorsam gegenüber ihrem General . Es waren monströse Marionetten in Menschengestalt. Hervorgebracht durch jahrelange Doktrin, die diese Männer gegen jede Art von Gefühlsregung abgestumpft hatte. Sie nahmen ihre Waffen auf, die aus wenigen Gewehren und Pistolen, in der Hauptsache jedoch aus Macheten und Messern bestanden, und setzen sich in Bewegung. Eine gute Stunde Fußmarsch, dann würden sie ihr Ziel erreichen.
In dem kleinen Dorf begann an diesem Morgen der ärmlich anmutende Alltag wie jeden Morgen. Jeder Tag dieser Menschen wurde geprägt durch einen gnadenlosen Überlebenskampf. Der Kampf gegen den Hunger, die Armut und die sich immer wieder ausbreitenden Krankheiten, für die so gut wie keine medizinische Versorgung existierte. Längst schon hatten sie jede Hoffnung auf Veränderungen in ihrem Land aufgegeben. Jedenfalls auf solche, die etwas an ihrer Lebenssituation verbessern würden. Stattdessen wurde es nur noch schlimmer. In dieses scheinbar unabänderliche Schicksal hatten sie sich gefügt und versuchten doch wenigstens das zum Überleben Notwendige zu beschaffen , und ihren Kindern ein Minimum an schulischer Bildung zu ermöglichen. Vielleicht gab es ja für sie eines Tages einen Weg hinaus aus diesem Teufelskreis, in dem sie gefangen waren. Um eine kleine Schulbaracke inmitten des Dorfes versammelten sich langsam die Kinder, die auch aus der näheren Umgebung kamen. Immer mehr strömten zu der kleinen Schule. Lautes Lachen der Jungen und Mädchen erfüllte mit einem Mal das ganze Dorf. Trotz ihrer Armut, trotz der mangelhaften Ernährung hörte man ihr Lachen. Fast unbekümmert tollten sie umher. Sie hatten die Möglichkeit, in ihrer Schule etwas zu lernen. Und sie wollten lernen. Es war für sie etwas Besonderes, was sie mit Freude annahmen. Stundenlang hörten sie oft gebannt zu, wenn ihre Lehrerin erzählte. Sie erzählte, sie erklärte, sie machte Hoffnung und sie machte Mut. Sie zeigte ihnen, dass Wissen und Können ein Weg aus dem Dunkel sein konnte.
Die Männer des Dorfes machten sich nach und nach auf und gingen zu den kleinen Feldern ringsum, um das Nötigste an Nahrung zu ernten. Die Frauen kümmerten sich um die Kinder und darum aus dem Wenigen was sie hatten Essen zu kochen, das für alle reichte. Auch versuchten sie die armseligen Hütten so gut wie möglich gegen Regen und Wind zu schützen. So ging alles an diesem Morgen den gleichen trostlosen Gang wie am Tag zuvor oder dem Tag davor oder den vielen Tausend Tagen in ihrer Vergangenheit.
Dunkle ausdruckslose Augen näherten sich langsam dem kleinen Dorf im Urwald. Mit Tarnanzügen und griffbereiten Waffen arbeiteten sich die Rebellen vor zu der großen Lichtung, auf der die Ansammlung von Hütten mit der kleinen Schule in der Mitte stand. Sie beobachteten die Menschen, die dort nichts ahnend ihrer Arbeit nachgingen, und warteten auf den Befehl des Generals . Dann erfolgte er. »Angriff!!!« Mit ohrenbetäubendem Geschrei verließen die Rebellen ihre Deckung und stürmen in das Dorf. Mit ihren Macheten rannten sie zwischen den Hütten umher und metzelten alles nieder, was nicht
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