Der Grabritter (German Edition)
wieder zu beruhigen. Irgendetwas sagte ihm, dass dies nicht der Ort war, an dem ihm etwas Schlimmes zustoßen würde. Der Bodyguard führte ihn zu einer weit geöffneten Doppeltür, durch die sie eine Außenterrasse betraten. Der aufsteigende, vor Kurzem noch dichte Nebel, lichtete sich bereits. Ein Stück entfernt, an der Brüstung der Terrasse, stand ein hochgewachsener Mann in einem langen dunkelroten Morgenmantel aus Seide. Er war um die vierzig Jahre alt und seine streng nach hinten frisierten schwarzen Haare zeigten an den Schläfen schon eine leichte Graufärbung. Die Gesichtszüge wirkten streng und herrisch. Conte Ferruccio Vigiani stand dort und ließ die gigantische Kulisse auf sich wirken. Längst hatte er die Ankunft Marquarts hinter sich bemerkt. Er drehte den Kopf und nickte Marquarts Begleiter kurz zu. »Kommen Sie, Dr. Marquart, sehen Sie sich das hier an.« Der kleine untersetzte Kriminalrat beeilte sich der Aufforderung Folge zu leisten und stellte sich neben Ferruccio Vigiani an die Brüstung. Aus den Augenwinkeln nahm er einen weiteren Bodyguard wahr, der sich auf der anderen Seite der Terrasse aufhielt und die Umgebung beobachtete. Für die Anwesenheit des Gastes schien er sich nicht im Mindesten zu interessieren. Marquart wusste es besser. Alle diese Leute im Umfeld des Conte waren Söldner mit einer Spezialausbildung. In dem Moment, in dem man auch nur den Versuch unternehmen würde, den Conte in Bedrängnis zu bringen, wäre man bereits tot.
Ferruccio Vigiani nahm die Zigarre, die er in der Hand hielt, zum Mund und zog lange und kräftig daran. An seiner Hand steckte ein mächtiger goldener Siegelring mit einem tiefblauen Lapislazuli in der Mitte. Einem Stein mit den funkelnden Einschlüssen aus Pyrit. Er war in der Form eines Schildes geschliffen worden. Ebenfalls in Gold waren ein Schwert, ein Helm und ein Löwe eingearbeitet. Das Wappen der Vigianis, einer uralten Familie aus dem italienischen Hochadel. Die Familie Vigiani hatte die Aktienmehrheit an vielen Unternehmen der Industrie. Ihre Macht erstreckte sich weit über die Grenzen Europas hinweg.
Marquart blickte an der imposanten Fassade des Hotels herunter in das tief unter ihnen liegende Rheintal. Der Conte betrachtete ihn dabei von der Seite und Marquart bemerkte, ohne den Blick direkt zu erwidern, dass diese Augen beinahe schwarz waren. Ein kalter Schauer lief ihm den Rücken herunter. Ein Feind dieses Mannes mochte er wirklich nicht sein. »Es ist ein fantastischer Ausblick«, kam es mit belegter Stimme aus seinem Mund. Der Conte zog wieder an seiner Zigarre.
»Ja mein Lieber, das ist es. Ein fantastischer Anblick. Viele gekrönte Häupter und Präsidenten standen hier schon. Hier und an anderen Orten, die nur wenigen Auserwählten zugänglich sind. Und sie alle spürten, was ich spüre. Die Macht und die Kraft der Vorfahren unserer westlichen Welt. Die hohe Kultur, die durch das Blut unserer Ahnen und Urahnen an uns und unsere Nachfahren weitergegeben wird. Unser aller höchste Aufgabe ist es, diese Kultur zu bewahren. Denn ein Volk ohne Kultur ist wie ein Baum ohne Wurzeln. Wie bei einem Baum muss man darauf achten, dass um ihn herum nicht zu viel wächst, was seine Wurzeln vernichtet. Man muss es mit allen Mitteln bekämpfen.«
Obwohl Marquart nicht so recht wusste, was der Conte mit seinen Worten meinte, nickte er eifrig zustimmend und tupfte sich mit seinem Taschentuch die Stirn ab, auf der sich wieder Schweißperlen gebildet hatten. »Kommen Sie Doktor, ich wollte gerade frühstücken. Leisten Sie mir Gesellschaft.« Der Conte legte seine Zigarre in einem Aschenbecher ab, der auf einem kleinen Tisch in der Nähe der Brüstung stand und ging ins Esszimmer. Auf einem Chippendale-Tisch in der Mitte des Raumes war ein kleines Frühstücksbuffet aufgebaut. Eine junge Frau, die scheinbar nicht zum Hotel, sondern zu den Bediensteten des Conte gehörte, brachte gerade Kaffee zum Tisch. »Soll ich ein Gedeck für Sie auflegen lassen, Doktor?« Marquart räuspert sich. »Nein danke, Conte, aber ich habe eine kleine Magenverstimmung. Wenn möglich hätte ich gerne ein Mineralwasser.« Ferruccio Vigiani lächelte vielsagend. Er konnte sich die Magenverstimmung seines Gastes sehr gut erklären. »Minette, ein Mineralwasser für unseren Gast bitte.« Mit einem sehr wohl Conte Vigiani eilte Minette aus dem Raum. Langsam ging Ferruccio zum Tisch hinüber und wies auf einen Stuhl am anderen Ende. »Nehmen Sie Platz, Dr.
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