Der Graf von Monte Christo
gehorchend und wie gelähmt, als nahte ihr der Tod.
Ich aber lief auf meinen Vater zu und streckte meine Arme nach ihm aus; er sah mich, neigte sich auf mich herab und drückte meine Stirn an seine Lippen. Oh! dieser Kuß war der letzte, und ich fühle ihn noch hier auf meiner Stirn.
Beim Hinabsteigen erblickten wir durch die Gitter der Terrasse die Barken, die auf dem See immer größer wurden, und kaum erst schwarzen Punkten ähnlich, nun bereits die Oberfläche der Wellen streifenden Vögeln glichen. Zu den Füßen meines Vaters sitzend und durch das Geräusch verborgen, beobachteten mittlerweile zwanzig Palikaren mit blutigem Auge die Ankunft der Schiffe und hielten ihre langen, mit Perlmutter und Silber eingelegten Flinten bereit. Patronen lagen in großer Anzahl auf dem Boden zerstreut; mein Vater schaute auf seine Uhr und ging ängstlich hin und her. Meine Mutter und ich gingen durch das unterirdische Gewölbe. Selim war immer noch an seinem Posten; er lächelte uns traurig zu, und obgleich noch Kind, fühlte ich doch, daß eine große Gefahr über unsern Häuptern schwebte.
Albert hatte oft, nicht von seinem Vater, der nie darüber sprach, sondern von Fremden die letzten Augenblicke des Wesirs von Janina erzählen hören; doch diese durch die Person und die Stimme des Mädchens zu neuem Leben erweckte Geschichte, der gefühlvolle Ausdruck, die klagende Elegie durchdrangen ihn zugleich mit einem unbeschreiblichen Zauber und mit einem unaussprechlichen Schmerz.
Ganz ihren furchtbaren Erinnerungen hingegeben, hatte Haydee einen Augenblick zu sprechen ausgehört; wie eine Blume, die sich vor dem Sturme neigt, beugte sich ihre Stirn auf die Hand, und ihre im weiten Räume verlorenen Augen schienen noch am Horizont den grünen Pindus und die blauen Wasser des Sees zu schauen, der, ein magischer Spiegel, das düstere Gemälde, das sie entwarf, widerstrahlte.
Monte Christo schaute sie voll Teilnahme und Mitleid an.
Endlich erhob Haydee die Stirn und fuhr fort: Es war vier Uhr abends; aber obgleich der Tag außen rein und glänzend war, blieben wir doch in den Schatten des unterirdischen Gewölbes versenkt. Ein einziger Schein glänzte in der Höhle, ähnlich einem am Grunde eines schwarzen Himmels zitternden Stern, es war Selims Lunte. Meine Mutter war eine Christin und betete. Selim wiederholte von Zeit zu Zeit die geheiligten Worte: Allah ist groß! Meine Mutter hatte jedoch noch einige Hoffnung. Als sie hinabstieg, hatte sie den Franken zu erkennen geglaubt, den man nach Konstantinopel geschickt, und in den mein Vater sein ganzes Vertrauen setzte, denn er wußte, daß die Soldaten des französischen Sultans gewöhnlich edel und hochherzig sind. Sie ging einige Schritte zur Treppe hin und horchte. Sie nahen, sagte sie; wenn sie nur den Frieden und das Leben bringen! Was befürchtest du, Wasiliki, entgegnete Selim mit seiner zugleich weichen und stolzen Stimme; bringen sie uns nicht den Frieden, so geben wir ihnen den Krieg; bringen sie uns nicht das Leben, so geben wir ihnen den Tod. Und er fachte die Flamme seines Spießes von neuem an. Aber ich, die noch ganz Kind war, fürchtete mich vor diesem Mute, den ich wild und unsinnig fand, und erschrak vor dem furchtbaren Tode in der Luft und in den Flammen. Meine Mutter mußte wohl dasselbe empfinden, denn ich fühlte ihre Hand beben.
Mein Gott! mein Gott! Mama, rief ich, müssen wir sterben? Und bei dem Tone meiner Stimme verdoppelten sich die Tränen und die Gebete der Sklavinnen. Kind, sagte meine Mutter, Gott behüte dich, daß du dir je den Tod wünschest, vor dem dir heute bange ist!
Selim, sagte sie, wie lautet der Befehl des Herrn?
Schickt er mir seinen Dolch, so weigert sich der Sultan, ihn in Gnade zu empfangen, und ich lege Feuer an; schickt er mir seinen Ring, so verzeiht ihm der Sultan, und ich lösche meine Flamme aus.
Freund, versetzte meine Mutter, wenn der Befehl des Herrn kommt er schickt dir den Dolch, so reichen wir dir, statt eines Todes zu sterben, der uns erschreckt, die Brust, und du tötest uns mit diesem Dolche.
Ja, Wasiliki, antwortete Selim ruhig.
Plötzlich vernahmen wir ein Geschrei; wir horchten: es war ein Freudengeschrei; der Name des Franken, den man nach Konstantinopel, geschickt, erscholl wiederholt aus dem Munde unserer Palikaren; offenbar brachte er die Antwort des Großherrn, und die Antwort lautete günstig.
Und Sie erinnern sich dieses Namens nicht? fragte Morcerf.
Monte Christo machte ihr ein Zeichen.
Ich
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