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Der Graf von Monte Christo

Der Graf von Monte Christo

Titel: Der Graf von Monte Christo Kostenlos Bücher Online Lesen
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Albert, was schwebt Ihnen sonst noch vor?
    Ich sehe mich unter dem Schatten von Ahornbäumen, in der Nähe eines Sees, dessen zitternden Spiegel ich noch durch das Blätterwerk erblicke. An dem ältesten und buschreichsten Baume saß mein Vater auf Kissen, und während meine Mutter zu seinen Füßen lag, spielte ich mit seinem weißen Barte, der bis auf seine Brust herabhing, und mit dem in seinem Gürtel steckenden Kandschar mit dem Diamantgriffe. Von Zeit zu Zeit kam ein Albanese zu ihm und sagte ein Paar Worte, auf die mein Vater gleichmütige Tötet! oder begnadigt! antwortete.
    Ich war vier Jahre alt, als ich eines Abends von meiner Mutter aufgeweckt wurde. Wir befanden uns in dem Palaste von Janina; sie nahm mich von den Kissen, auf denen ich ruhte, und als ich die Augen öffnete, sah ich die ihrigen voll schwerer Tränen. Sie trug mich fort, ohne etwas zu sagen. Als ich wahrnahm, daß sie weinte, fing ich ebenfalls an zu weinen. Still, Kind! sagte sie. Trotz der mütterlichen Tröstungen oder Drohungen fuhr ich, launenhaft wie alle Kinder, fort zu weinen; doch schließlich lag in der Stimme meiner armen Mutter ein solcher Ausdruck von Schrecken, daß ich schwieg.
    Sie trug mich rasch weiter. Wir stiegen eine breite Treppe hinab; alle Frauen meiner Mutter stiegen oder stürzten vielmehr, Kisten, Sacke, Putzsachen, Juwelen, Goldbörsen tragend, dieselbe Treppe hinab. Hinter den Frauen kam eine Wache von zwanzig Mann, bewaffnet mit langen Flinten und Pistolen.
    Glauben Sie, sagte Haydee, den Kopf schüttelnd und schon bei dieser Erinnerung erbleichend, es lag etwas Unseliges in der langen Reihe von Sklaven und Frauen, die halb schlaftrunken waren, – wenigstens bildete ich es mir ein, denn ich hielt vielleicht die andern für schläfrig, weil ich selbst nur halb wach war. Auf der Treppe liefen riesige Schatten, welche der Schein der tannenen Fackeln an den Gewölben zittern ließ. Eilt! rief eine Stimme im Hintergrunde der Galerie. Bei dieser Stimme beugte sich alles, wie der Wind, der über die Ebene hinstreicht, das Ährenfeld sich beugen läßt.
    Ich aber zitterte.
    Die Stimme war die meines Vaters. Er kam zuletzt in seinen glänzenden Gewändern und den Karabiner in der Hand haltend, den Ihr Kaiser ihm geschenkt hatte. Auf seinen Liebling Selim gestützt, trieb er uns vor sich her, wie ein Hirt seine verirrte Herde.
    Mein Vater, fuhr Haydee, das Haupt erhebend, fort, mein Vater war der berühmte Mann, den Europa unter dem Namen Ali Tependelini, Pascha von Janina, gekannt hat, und vor dem die Türken zitterten.
    Ohne zu wissen warum, bebte Albert, als er diese Worte mit einem unbeschreiblichen Ausdruck von Hoheit und Würde aussprechen hörte. Es kam ihm vor, als strahlte etwas Düsteres, Furchtbares in den Augen des griechischen Mädchens; einer Zauberin ähnlich, die ein Gespenst heraufbeschwört, erweckte Haydee die Erinnerung an die blutige Gestalt, deren gräßlicher Tod sie in den Augen des damaligen Europa riesenhaft erscheinen ließ.
    Bald hielt man an, fuhr Haydee fort, wir waren unten an der Treppe und am Rande eines Sees. Meine Mutter drückte mich an ihre pochende Brust, und ich sah zwei Schritte hinter uns meinen Vater, der unruhig nach allen Seiten umherschaute. Vor uns lagen vier Marmorstufen, und unten an der letzten Stufe schaukelte eine Barke. Von dem Orte aus, wo wir waren, sah man mitten im See eine schwarze Masse sich erheben; es war der Kiosk, nach dem wir uns begaben. Dieser Kiosk schien mir sehr weit entfernt zu sein, vielleicht wegen der Dunkelheit. Wir stiegen in die Birke hinab. Außer den Ruderern waren in der Barke nur die Frauen, mein Vater, meine Mutter, Selim und ich. Die Palikaren waren, bereit, den Rückzug zu decken, am Rande des Sees geblieben; sie knieten auf der untersten Stufe und machten sich so für den Fall, daß sie verfolgt würden, einen Wall aus den drei andern. Unsere Barke ging wie der Wind.
    Warum geht die Barke so geschwind? fragte ich meine Mutter.
    Still, mein Kind! sagte sie, wir fliehen.
    Ich begriff das nicht. Warum floh mein Vater? Er, der Allmächtige, vor dem gewöhnlich die andern flohen, er, dessen Wahlspruch es war: Sie mögen mich hassen, wenn sie mich nur fürchten!
    Es war aber in der Tat eine Flucht. Man sagte mir seitdem, eines langen Dienstes müde, habe die Garnison von Janina ...
    Hier heftete Haydee ihren ausdrucksvollen Blick auf Monte Christo, dessen Augen die ihrigen nicht mehr verließen. Das Mädchen fuhr langsam fort, wie jemand, der

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