Der Grenzgänger
morgen im Blättchen alles lesen, was es über Fleischmann gibt.“
„Warum erst morgen?“, hakte ich beharrlich nach. „Erzählen Sie mir jetzt etwas über den Mann, es muss ja nicht unbedingt seine Schuhgröße oder die von ihm bevorzugte Hemdenmarke sein.“
Der Schreiberling musste schmunzeln. „Also gut. Renatus Fleischmann ist Anfang dreißig, wurde in Geilenkirchen geboren, machte dort auch am Gymnasium Sankt Ursula das Abitur, absolvierte seinen Ersatzdienst im Altersheim der Arbeiterwohlfahrt in Heinsberg und studierte danach Germanistik in Aachen und später in Düsseldorf. Mit dem Magisterabschluss in der Tasche versucht er jetzt in Aachen sein Glück als freier Schriftsteller.“ Fleischmann sei weder verlobt noch verheiratet, aber nach allen Recherchen auch nicht dem eigenen Geschlecht zugetan. „Er ist ein Einzelgänger, ein Sonderling, ein Mensch, der in aller Bescheidenheit zurückgezogen lebt. Er hat nur gelegentlichen Kontakt zu seinen Eltern und auch keinen großen Bekanntenkreis. Anscheinend hat er sich nur mit zwei Menschen regelmäßig unterhalten, mit seiner Lektorin und seinem Verleger.“ Er habe Fleischmann einmal bei einer Lesung erlebt, berichtete der Reporter. „Ich habe mich über dessen unscheinbares Äußeres gewundert. Wenn Sie ihn kennen gelernt hätten, würden Sie eher vermuten, dass es sich um einen braven Finanzbeamten als einen Romanautor mit blühender, krimineller Fantasie handelt.“ Die Charakterisierung reichte mir für den Augenblick. Höflich bedankte ich mich und wollte das Gespräch rasch beenden.
Doch der Journalist hatte aufgepasst.
Nach einer kurzen Pause nahm er sein Fragerecht wahr. „Warum interessiert Sie der Fall, Herr Grundler?“
„Ich bin gestern zufällig auf den Namen gestoßen“, gab ich ausweichend zur Antwort, „und höre heute Morgen von dem Mord.“ Wenn einer etwas wissen könnte, dann wäre er es, schmeichelte ich Sümmerling. „Deshalb habe ich Sie angerufen.“
Offenbar genügte meine Erwiderung. „Und jetzt wollen Sie den Mord aufklären?“ Der Journalist lachte laut in den Hörer hinein.
„Warum eigentlich nicht?“, entgegnete ich lässig. „Machen Sie mit?“
„Warum eigentlich nicht?“, echote der Schreiberling ironisch. „Sie mit Ihren Verbindungen und ich mit meinen, da ist es für uns doch ein Klacks, diesen läppischen Fall mir nichts dir nichts aufzuklären.“
Schnell verabschiedete ich mich, als ich bemerkte, dass die Tür zu meinem Büro geöffnet wurde.
Böhnke brauchte nicht mitzubekommen, dass ich mit dem AZ-Reporter gesprochen hatte.
Lahey-Park
„Wohin geht’s denn?“, fragte ich den Kommissar beiläufig, während ich an der Garderobe nach meiner Lederjacke langte.
Böhnke grinste mich an. Der drahtige Mann war zwar schon Mitte fünfzig, doch ging er gut und gerne als pfiffiger Mittvierziger durch, wenn er sein verschmitztes Grinsen aufsetzte. „Zum Lahey-Park“, antwortete der erfahrene und allseits respektierte Polizist knapp, als wir durchs Treppenhaus abwärts stiegen.
Ich ließ es kommentarlos bei dieser Antwort bewenden und betrachtete Böhnke stumm, als er den auf dem Gehweg vor unserer Kanzlei geparkten, unauffälligen weißen Dienst-Opel aufschloss. Viele Ganoven irrten sich in dem nach außen hin gutmütig und gelassen wirkenden Kommissar mit dem kurzen, grauen Haar. Böhnke war der Spezialist im Polizeipräsidium schlechthin, wenn es galt, schwierige und scheinbar aussichtslose Fälle zu lösen.
Erst auf der Autobahn in Richtung Düsseldorf klärte mich der Polizist auf. „Ich will mir in Erkelenz den Leichenfundort ansehen.“ Böhnke berichtete mir mit großer Sachlichkeit von dem Fund und ich tat erstaunt, als hörte ich die Informationen zum ersten Mal.
„Wie ist denn der Zeuge auf die Leiche gestoßen?“, fragte ich schließlich mit gespielter Wissbegier, als Böhnke geendet hatte. „Durch seinen Schäferhund. Das Tier ist beim Abendspaziergang in den Graben gesprungen und hat sich an dem Plastiksack zu schaffen gemacht. Ratten hatten das Plastik aufgerissen und sich schon ihren Teil an den Fleischstücken herausgeholt. Wahrscheinlich wollte sich der Hund auch noch seine Zwischenmahlzeit schnappen“, sagte Böhnke mit übertriebenem Zynismus, was für ihn ein Zeichen größter Anspannung war. Aufgrund des Personalausweises, den die Gerichtsmediziner in der Fleischmasse gefunden hätten, wäre Fleischmann zu identifizieren gewesen.
„Mahlzeit“,
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