Der Gringo Trail: Ein absurd komischer Road-Trip durch Südamerika (German Edition)
im Kampf, sozusagen. Irgendwie war es der Tod eines Kriegers gewesen, der im Kampf gefallen war, anstatt von Alter und Krankheit langsam verzehrt zu werden. In Kriegerkul turen war ein Tod im Kampf immer die einzige ehrbare und wün schenswerte Art zu sterben gewesen. Mark hatte freilich gegen die Elemente gekämpft – nicht gegen einen menschlichen Gegner. Es war auch ein Kampf gegen sich selbst gewesen: Er hatte das Ri siko gekannt und sich trotzdem gedrängt gefühlt, es einzugehen. Es war ein wunderschöner Ort zum Sterben. Ein schöner, ro mantischer Ort, weit weg von zu Hause. Das war die Karibik – aber nicht die Karibik aus dem Reisekatalog, wo Touristen an klarem, türkisblauem Wasser Pina Coladas nippen. Sondern das war ein wildes Piratenmeer, wo die Brecher unbarmherzig den Strand angreifen und das unablässige Brausen der Brandung wie Artillerie auf einem weit entfernten Schlachtfeld donnert. Es war der Ozean der spanischen Herrschaft und skrupelloser, mörde rischer Freibeuter wie Francis Drake und Captain „Bluebeard“ Morgan. An solch einem Ort hatte der Tod eine romantische Po esie in sich. Dies war ein elementarer Tod – zurückgerissen in den Ozean, in die ungezähmte Gebärmutter der Welt.
Ich sah am Strand zurück. Dieser Strand war wohl das letzte, was Mark in seinem Leben gesehen hatte. Die Haufen riesiger Findlinge. Die Kokospalmen, die sich im Wind wiegten, und die mit Palmblät tern gedeckten Dächer der Restaurants. Dahinter all die Berge mit ih rem Mantel aus dichtem grünem Dschungel, die zum dahinter verbor genen Schnee der mächtigen Sierra Nevada hinaufreichten. Konnte einen denn ein schöneres Bild auf der Reise in die Ewigkeit begleiten? Wir sahen, wie das orangene Gestirn Sonne hinter den Bergen verschwand und den Himmel mit blutroten Strähnen besudelte. Die zunehmende Dunkelheit machte es gefährlich, noch länger auf den Felsen zu verweilen, und die beginnende Flut drohte, uns abzuschnei den. Wir kletterten hinunter und zogen uns zum Strand zurück.
„Wie fühlst du dich?“, fragte Melissa. „Es ist komisch, aber ich weiß es eigentlich nicht. Wie ein Schau spieler, der seinen Text vergessen hat. Ich fühle mich nur … leer.“ Melissa legte ihre Arme um mich und lehnte ihre Stirn gegen meine. Sie sah mir in die Augen. Dieser Augenblick brauchte keine Worte. Ich schloss meine Au gen und spürte Tränen auf meinen Wangen, aber es waren Tränen der Dankbarkeit – der Erleichterung, dass ich nicht allein war.
Kapitel 10
Das Leben danach
Ein Spaziergang im Wald
Ich sah zu, wie sich das Meer in der Dunkelheit auflöste. Als die Wellen sich hoben und senkten, schien es, als würden 1000 Köpfe auftauchen und wieder verschwinden. Es war aber nur das silberne Licht des aufgehenden Mondes, der noch immer fast voll war: Das Licht wurde von den weißen, schäumenden Wellenkäm men eingefangen, die im verblassenden Zwielicht schimmerten wie ein funkensprühender Spiegel, in dem sich die aufgehenden Sterne des Nachthimmels spiegelten. Melissa und ich lagen ge meinsam in einer der Hängematten und hielten uns fest, als wir zusammen einschliefen.
Ich rechnete mit Albträumen. Ich hatte aber keine, und am näch sten Morgen hatte ich vage Schuldgefühle, weil ich so ruhig ge schlafen hatte. Ich war dankbar für die kleine Zeremonie auf den Felsen. Das Fortschleudern des San Pedro; still dort zu sitzen, wäh rend die Wellen gegen die Felsen schlugen und die Gischt um uns her sprühte. Es schien richtig – als erfüllte sich dadurch das Grund bedürfnis nach irgendeiner Art von Zeremonie, um sich von einem Freund zu verabschieden.
Hätte ich versuchen sollen, Mark zu retten? Die Logik sagte mir, dass der Versuch zugleich erfolglos und selbstmörderisch gewesen wäre. Ich konnte mich an gewisse lebensrettende Maß nahmen aus der Schule erinnern: Ein lahmes Rückenschwim men, das sogar in einem ruhigen Schwimmbecken jämmerlich war. Aber dieser hinterhältige Ozean war etwas völlig Anderes. Trotzdem … hätte ich es nicht doch versuchen sollen? Und wenn ich beim Versuch gestorben wäre. Taten, heißt es, sagen mehr als Worte, und als es darauf ankam, hatte ich nichts getan. Vielleicht – wahrscheinlich – hatte ich richtig entschieden. Aber in diesem Augenblick erkannte ich meine wahre Persönlichkeit. Vorsichtig und ängstlich. Genau wie beim Ayahuasca -Trip bei den Cofan, als ich Angst gehabt hatte, mich ganz loszulassen. Ich war so ängst lich, wie Mark furchtlos
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