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Der größere Teil der Welt - Roman

Der größere Teil der Welt - Roman

Titel: Der größere Teil der Welt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Egan
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dann fiel ihm ein, dass sich bereits jemand bereiterklärt hatte: er selbst. Alex legte eine Grafik von sich an, wie er Rebecca erscheinen mochte: Bedürftigkeit: 9. Einfluss: 6, Bestechlichkeit: 0. Alex war Purist, wie Bennie gesagt hatte, er hatte schmierige Bosse (in der Musik branche) abblitzen lassen, so wie er jetzt gewohnheitsmäßig Frauen abblitzen ließ, die sich vom Anblick eines Mannes angezogen fühlten, der sich während der Arbeitszeit um seine kleine Tochter kümmerte. Verdammt, er hatte Rebecca kennengelernt, nachdem er einen Mann mit Wolfsmaske verfolgt hatte, der am Tag vor Halloween ihre Brieftasche geklaut hatte. Aber Alex hatte sich Bennie Salazar kampflos ergeben. Warum? Weil seine Wohnung bald dunkel und luftlos sein würde? Weil es ihn ruhelos gemacht hatte, bei Cara-Ann zu Hause zu bleiben, während Rebecca Vollzeit unterrichtete und Bücher schrieb? Weil er niemals so ganz vergessen konnte, dass jedes Byte an Informationen, das er jemals online gestellt hatte (Lieblingsfarbe, -gemüse, -stellung beim Sex) in den Datenbanken multinationaler Konzerne gespeichert war, die beteuerten, dass sie sie niemals, niemals verwenden würden – dass er ihnen also gehörte, weil er sich ausgerechnet zu dem Zeitpunkt seines Lebens, als er sich besonders subversiv vorgekommen war, ohne nachzudenken verkauft hatte? Oder lag es an der seltsamen Symmetrie, dass er Bennie Salazars Namen zuerst von dieser verlorenen Frau gehört hatte, mit der er ganz am Anfang mal was hatte, und dass er Bennie nun endlich, anderthalb Jahrzehnte später, und zwar ausgerechnet durch die Spielgruppe tatsächlich kennengelernt hatte ?
    Alex wusste es nicht. Er musste es nicht wissen. Was er musste, war, noch fünfzig Leute wie ihn zu finden, die, ohne es zu bemerken, aufgehört hatten, sie selbst zu sein.
    »Physik ist vorgeschrieben. Drei Semester. Wenn man durchfällt, fliegt man aus dem Studiengang.«
    »Für ein Examen in Marketing?« Alex verschlug es fast die Sprache.
    »Früher war es Epidemologie«, sagte Lulu. »Sie wissen, als das virale Modell noch angesagt war.«
    »Heißt es immer noch ›viral‹?« Alex wünschte, er hätte eine echte Tasse Kaffee, nicht die Plörre, die sie in diesem Restaurant ausschenkten. Bennies Assistentin Lulu schien fünfzehn oder zwanzig davon getrunken zu haben – falls sie nicht immer so war.
    »Kein Mensch sagt mehr ›viral‹«, sagte Lulu. »Ich meine, vielleicht aus Gedankenlosigkeit, so wie wir noch immer ›verbinden‹ und ›übertragen‹ benutzen – diese alten mechanischen Metaphern, die nichts damit zu tun haben, wie Informationen verarbeitet werden. Einfluss kann nicht mehr als Nacheinander von Ursache und Wirkung beschrieben werden, er geschieht simultan. Er ist schneller als das Licht, das ist wirklich gemessen worden. Also studieren wir jetzt Teilchenphysik.«
    »Und was kommt als Nächstes? Stringtheorie?«
    »Das ist ein Wahlfach.«
    Lulu war Anfang zwanzig, sie hatte am Barnard College studiert und arbeitete Vollzeit als Bennies Assistentin, ein lebender Prototyp der neuen »Generation Smartpad«, papierfrei, schreibtischfrei, pendelfrei und theoretisch allgegenwärtig, obwohl Lulu einen nicht abreißenden Strom von Piepsern und Brummgeräuschen des Smartpads ausblenden zu müssen schien. Die Fotos auf ihrer Website wurden der Symmetrie ihres hinreißenden Gesichts mit den weit auseinanderstehenden Augen nicht gerecht, dem strahlenden Leuchten ihrer Haare. Sie war »clean«, ohne Piercings, Tattoos oder Ritzereien. So waren jetzt alle jungen Leute. Und wer hätte ihnen da einen Vorwurf machen können, überlegte Alex, nachdem sie drei Generationen schlaffer Tattoos wie mottenzerfressene Polster über eingefallene Bizeps und Hängeärsche hatten sacken sehen?
    Cara-Ann schlief in ihrem Tragetuch, ihr Gesicht zwischen Alex’ Kinn und sein Schlüsselbein geschmiegt, ihr fruchtiger, keksiger Atem stieg ihm in die Nase. Ihm blieben dreißig Minuten, vielleicht fünfundvierzig, ehe sie aufwachen und ihr Mittagessen verlangen würde. Dennoch verspürte Alex ein perverses Bedürfnis, zum Anfang zurückzukehren, Lulu zu verstehen, genau klarzustellen, warum sie ihn aus der Fassung brachte.
    »Wie bist du an Bennie rangekommen?«, fragte er.
    »Seine Exfrau hat mal für meine Mom gearbeitet«, sagte Lulu. »Vor Jahren, als ich ein kleines Mädchen war. Ich kenne Bennie schon mein Leben lang – und seinen Sohn Chris auch. Er ist zwei Jahre älter als ich.«
    »Ach«,

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