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Der größere Teil der Welt - Roman

Der größere Teil der Welt - Roman

Titel: Der größere Teil der Welt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Egan
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jeden Samstagabend nach der Probe ins Mab. Wir haben Crime gehört, die Avengers, die Germs und zigtausend andere Bands. Die Bar ist zu teuer, deshalb trinken wir vorher vom Vorrat meines Dad. Jocelyn muss mehr trinken als ich, um den Alkohol zu spüren, und wenn er schließlich wirkt, holt sie tief Luft, als ob sie endlich wieder sie selbst wäre.
    In der mit Graffiti übersäten Toilette des Mab lauschen wir: Ricky Sleeper ist bei einem Gig von der Bühne gefallen, Joe Rees von Target Video macht einen ganzen Film über Punk Rock, zwei Schwestern, die wir immer im Club sehen, gehen jetzt auf den Strich, um ihr Heroin zu bezahlen. Dass wir das mitkriegen, lässt uns schon beinahe dazugehören, reicht aber nicht ganz. Wann wird ein falscher Irokese zu einem echten Irokesen? Wer trifft solche Entscheidungen? Woher weiß man, ob man diese Grenze passiert hat?
    Bei den Shows stoßen wir uns beim Pogen vor der Bühne, schubsen, lassen uns umwerfen und wieder hochziehen, bis unser Schweiß sich mit dem Schweiß echter Punks vermischt und unsere Haut ihre berührt hat. Bennie macht das nicht so oft. Ich glaube, er hört sich wirklich die Musik an.
    Eins ist mir aufgefallen: Punkrocker haben keine Sommersprossen. Sie haben einfach keine.
    Eines Nachts klingelt Jocelyns Telefon, und es ist Lou, der sagt, Hallo, Schöne. Er versucht seit Tagen, sie zu erreichen, behauptet er, aber das Telefon klingelt immer nur. Warum versucht er es also nicht einfach mal nachts, frage ich, als Jocelyn mir das erzählt.
    An diesem Samstag geht sie nach der Probe mit Lou aus, nicht mit uns. Wir wandern zum Mab und dann zurück zu Alice. Inzwischen benehmen wir uns dort, als ob das Haus uns gehörte; wir essen den Joghurt, den ihre Mom in Glasgefäßen auf einer Wärmeplatte herstellt, und liegen auf der Couch im Wohnzimmer, unsere mit Socken bekleideten Füße auf den Armlehnen. Eines Nachts kochte ihre Mom uns heiße Schokolade und brachte sie auf einem goldenen Tablett ins Wohnzimmer. Sie hatte große traurige Augen und einen sehnigen Hals. Jocelyn flüsterte mir ins Ohr, Reiche Leute spielen gern Gastgeber, dann können sie ihre schönen Sachen vorführen.
    An diesem Abend, in Jocelyns Abwesenheit, frage ich Alice, ob sie noch immer die Schuluniformen hat, die sie vor langer Zeit einmal erwähnt hat. Sie sieht überrascht aus. Ja, sagt sie. Sicher.
    Ich folge ihr die flauschige Treppe hoch zu ihrem Zimmer, in dem ich noch nie gewesen bin. Es ist kleiner als das ihrer Schwestern, mit blauem Flokatiteppich und blau-weißen Tapeten mit Zickzackmuster. Ihr Bett ist begraben unter einem Berg aus Stofftieren, allesamt Frösche: knallgrün, hellgrün, neongrün. Einige haben Stofffliegen auf der Zunge sitzen. Sogar Alices Nachttischlampe und ihr Kopfkissen sind geformt wie ein Frosch.
    Ich sage, Ich wusste gar nicht, dass du auf Frösche stehst, und Alice erwidert, Woher auch?
    Ich war noch nie mit Alice allein. Sie kommt mir nicht so nett vor wie in Jocelyns Gegenwart.
    Sie öffnet ihren Schrank, steigt auf einen Stuhl und zieht einen Karton heraus, der einige Uniformen enthält: ein grünkariertes Kinderkleid und ein zweiteiliges Matrosenkleid, das nicht ganz so alt sein kann. Ich frage, Welches hat dir besser gefallen?
    Keins, sagt sie. Wer will schon eine Uniform tragen.
    Ich sage, Ich fände es schön.
    Soll das ein Witz sein?
    Was sollte das für ein Witz sein?
    Die Art Witz, bei der du und Jocelyn darüber lacht, dass ihr einen Witz macht und ich ihn nicht kapiere.
    Meine Kehle ist wie ausgedörrt. Ich sage, Das tu ich nicht. Mit Jocelyn lachen.
    Alice zuckt mit den Schultern. Mir doch egal, sagt sie.
    Wir sitzen auf ihrem Teppich, die Uniformen über unsere Knie gelegt. Alice trägt zerfetzte Jeans und verschmiertes schwarzes Augen-Make-up, aber ihre Haare sind lang und golden. Sie ist auch kein echter Punk.
    Nach einer Weile frage ich, Warum lassen deine Eltern uns eigentlich herkommen?
    Das sind nicht meine Eltern. Das sind meine Mutter und mein Stiefvater.
    Ach so.
    Sie wollen euch wahrscheinlich im Auge behalten.
    Die Nebelhörner sind in Sea Cliff besonders laut, als wären wir allein auf einem Schiff, das durch den dicksten Nebel segelt. Ich schlinge die Arme um meine Knie und wünsche mir mit aller Macht, Jocelyn wäre hier bei uns.
    Machen sie das jetzt gerade?, frage ich leise. Uns im Auge behalten?
    Alice holt tief Atem und stößt ihn wieder aus. Nein, sagt sie. Die schlafen.
    Marty der Geiger geht nicht einmal zur

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