Der größere Teil der Welt - Roman
Problem: Kitty ist völlig verschnarcht. Das Interessanteste an ihr ist die Wirkung, die sie auf andere hat, und da der »andere«, dessen Innenleben in diesem Fall am ehesten von der Allgemeinheit begutachtet werden kann, zufälligerweise ich bin, ist es nur natürlich – es ist sogar unerlässlich (»Ich flehe dich an, krieg es diesmal bitte hin, damit ich nicht wie ein Arschloch dastehe, weil ich dir den Auftrag gegeben habe«, sagte Atticus Levi kürzlich am Telefon zu mir, als ich meine Verzweiflung darüber zum Ausdruck brachte, weitere Promiporträts schreiben zu müssen) –, dass die angebliche Geschichte meines Mittagessens mit Kitty Jackson eigentlich die Geschichte der zahllosen Wirkungen ist, die Kitty Jackson während des besagten Mittagessens auf mich ausgeübt hat. Und damit diese Wirkungen auch nur entfernt verständlich sind, müssen Sie sich vor Augen halten, dass Janet Green, die drei Jahre lang meine Freundin und einen Monat und dreizehn Tage meine Verlobte war, mir vor zwei Wochen den Laufpass gegeben hat, und zwar wegen eines Memoirenschreibers, dessen neueste Bücher von seiner pubertären Neigung handeln, ins Aquarium seiner Familie zu onanieren. (»Wenigstens arbeitet er an sich«, sagte Janet Green kürzlich am Telefon zu mir, als ich versuchte, ihr klarzumachen, welch kolossaler Irrtum ihr da unterlaufen sei.)
»Das frage ich mich die ganze Zeit – was wohl als Nächstes passieren wird«, sagt Kitty. »Manchmal stelle ich mir vor, wie ich auf diesen Moment zurückblicke, und denke, na ja, wo werde ich stehen, wenn ich zurückblicke? Wird der jetzige Moment wie der Beginn eines großartigen Lebens aussehen oder … oder wie sonst?«
Und wie lautet die Definition eines »großartigen Lebens« in Kitty Jacksons Wörterbuch?
»Ach, Sie wissen schon.« Kichern. Erröten. Wir sind wieder bei Nett, aber es ist ein anderes Nett als vorhin. Wir waren aneinandergeraten, und jetzt ist Versöhnung angesagt.
»Ruhm und Geld?«, hake ich nach.
»Irgendwie schon. Aber auch einfach – Glück. Ich möchte die wahre Liebe finden, mir ist es egal, wie kitschig sich das anhört. Ich möchte Kinder. Deshalb schließe ich mich in dem neuen Film so eng an meine Ersatzmutter an …«
Aber meine Pawlowschen Bemühungen, den Publicityaspekt unseres Mittagessens zu unterdrücken, haben Erfolg, und Kitty verstummt. Kaum habe ich mir zu diesem Erfolg gratuliert, da ertappe ich Kitty dabei, wie sie verstohlen einen Blick auf ihre Uhr (von Hermès) wirft. Welche Wirkung diese Geste auf mich hat? Nun ja, in mir braut sich eine unberechenbare Mischung aus Zorn, Panik und Begierde zusammen: Zorn, weil dieses Naivchen aus Gründen, die einfach nicht zu rechtfertigen sind, auf dieser Welt viel mehr Macht besitzt, als ich jemals haben werde, und weil ich, wenn meine vierzig Minuten erst zu Ende sind, auf meinem unterirdischen Pfad nur noch durch kriminelles Stalken zu ihrem erhabenen Pfad dazustoßen kann; Panik, weil ich auf meine eigene Uhr (eine Timex) geschaut und entdeckt habe, dass dreißig dieser vierzig Minuten verstrichen sind, während ich noch immer kein »Ereignis« habe, um das sich mein Porträt drehen könnte; Begierde, weil ihr Hals sehr lang und von einem feinen, fast durchscheinenden Goldkettchen umschlossen ist. Ihre Schultern, die das weiße Bustier ihres rückenfreien Sommerkleides entblößt, sind schmal und gebräunt und überaus zierlich, wie zwei Täubchen. Aber das lässt sie unattraktiv klingen, dabei sind sie phänomenal attraktiv. Mit »Täubchen« will ich sagen, dass sie (ihre Schultern) so appetitlich aussehen, dass ich mir für einen Moment vorstellen könnte, wie ich alle diese Knöchlein auseinanderreiße und von einem nach dem anderen das Fleisch abnage. 4
Ich frage Kitty, wie es sich anfühlt, eine Sexgöttin zu sein.
»So fühlt es sich überhaupt nicht an«, sagt sie gelangweilt und verärgert. »Das fühlt sich nur für andere Leute so an.«
»Sie meinen Männer.«
»Kann schon sein«, sagt sie, und ein neuer Ausdruck, den ich wohl als plötzliche Lustlosigkeit beschreiben müsste, huscht über ihr anmutiges Gesicht und setzt sich dort fest.
Mir geht es genauso: Ich bin plötzlich lustlos. Überhaupt ganz allgemein lustlos. »Himmel, das ist alles solch eine Farce«, gebe ich meine Gefühle in einem achtlosen Augenblick preis, ohne damit ein strategisches Ziel zu verfolgen, weswegen ich es zweifellos in Sekundenschnelle bereuen werde. »Wieso machen wir bei alldem
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