Nickel: Roman (German Edition)
Kapitel 1
Sie sagte, sie brauche Hilfe. Ich erklärte ihr, dass man Leute wie mich nicht über den Facebook-Chat kontaktiert. (Der Account war gefakt, aber trotzdem.) Ich gab ihr die Nummer meines Pagers. Als er ein paar Sekunden später summte, nahm ich mein Telefon und stöpselte Kabel Nummer sechs ein, den Anschluss der Trans. Es stört die nicht, dass ich ihre Festnetzleitung benutze, weil sie nichts davon wissen. Ich wählte, so schnell es die Wählscheibe erlaubte, und sie meldete sich beim ersten Klingeln.
»Hallo?«
»Was willst du?«
»Bist du …«
»Ja. Keine Namen am Telefon. Du weißt, wo der Riverside Park ist?«
»Ja, aber …«
»Da treffen wir uns, in einer Stunde. Es gibt da einen Spielplatz an einer Brücke. Du weißt, dass du richtig bist, wenn du auf einer Bank einen Mann mit grauen Haaren und einer Augenklappe sitzen siehst. Das bin nicht ich, und er wird nichtmit dir reden. Ich werde auf einer grünen Bank ihm gegenüber sitzen, an den Schaukeln. Komm allein und zieh ein rotes Oberteil an.«
Ich legte auf und ging ins Schlafzimmer, um mich zu kostümieren. Das Haus ist ein Saustall. Wenn ich mal dazu komme, muss ich unbedingt aufräumen. Ich glaube aber nicht, dass das demnächst der Fall sein wird. Das Haus ist perfekt für mich: zwei Schlafzimmer, ein Garagenanbau und ein Keller. Im größeren der beiden Schlafzimmer habe ich mein Büro, im anderen schlafe ich. Zu sagen, dass ich ein paar Möbel brauchen könnte, wäre untertrieben.
Um über längere Zeit so zu leben wie ich, muss man glaubwürdig wirken, und heute musste ich so gut mit der Umwelt verschmelzen wie mit dem Mixer verrührt. Es war merkwürdig, aus heiterem Himmel kontaktiert zu werden; normalerweise war ich irgendwie vorgewarnt, was mich erwartete und von wem die Empfehlung stammte. Aber sie war noch ein Kind, das hatte ich aus dem kurzen Telefonat herausgehört, und Kinder haben eine komische Art, mich zu finden. Damit will die Welt mich bestimmt bloß daran erinnern, dass ich ihr für Dad etwas schulde. Wer das Mädchen auch sein mochte – entweder sie brauchte Hilfe oder sie wollte mich in eine Falle locken. Soweit ich wusste, war niemand hinter mir her, aber ich habe so vielen Leuten ans Bein gepinkelt, dass es garantiert ein paar gibt, die mir zu gerne mal gegenüberstehen würden. Lieber würde ich sterben, als noch einmal in eine Pflegefamilie zu gehen, und so weit bin ich noch lange nicht.
Wie gesagt, da ich das vermeiden will, hat unauffällig zu bleiben Prio eins. An diesem Tag bedeutete das eine Levi’sund ein T-Shirt von Aéropostale. Die Kids heute haben keinen Modegeschmack, und glaubt mir, wenn die Kostümierung nicht notwendig wäre, wäre das so ziemlich das Letzte, worin man mich zu Gesicht bekäme. Als Waise, rothaarig und klein für mein Alter, hatte ich es schon schwer genug.
Kurz darauf war ich unterwegs – ein beliebiger Zwölfjähriger auf einem Mountainbike. Es sah schäbig aus, aber es war ein Fünftausend-Dollar-Rad. Ich hatte es so getunt, dass es wie der Schrott aussah, den man bei Walmart kaufen und ein paarmal die Woche einfach im Garten stehen lassen konnte. Bis zum Park war es nicht weit, doch ich wollte frühzeitig da sein.
Der Riverside Park, das sind zwei völlig verschiedene Orte. Nachts ist er ein Höllenkreis ganz dicht am Inferno. Vor ein paar Jahren tauchten da regelmäßig Prostituierte tot auf wie ältliche Verwandte zum Weihnachtsessen, und nach Einbruch der Dunkelheit lässt sich da niemand blicken. Ganz anders tagsüber: Mütter mit Babys und unbeaufsichtigte Kinder, die in mir den Wunsch nach strengeren Gesetzen über das Anleinen aufkommen lassen. Als sie den Kerl, der die Nutten kaltgemacht hatte, endlich erwischten, war das tagsüber. Niemand zuckte auch nur mit der Wimper.
Ich stellte mein Fahrrad ab und wickelte eine Kette um den Rahmen, damit es so aussah, als wäre es abgeschlossen. Falls ich abhauen musste, wollte ich nicht erst an einem Schloss herumfummeln müssen; falls es gestohlen würde, würde ich einfach ein neues kaufen. Betriebsausgabe. Die Bank, auf die ich mich setzte, war nicht die, die ich dem Mädchen genannt hatte. Sie stand ein Stück abseits, aber ich hatte den Spielplatz gut im Blick. Ich konnte Augenklappe und die Schaukeln und alles sehen. Heutesah ich eine Jugendliche in einem roten Pulli und Jeans. Ich ging zu ihr und sagte: »Hi.«
»Hau ab.«
»Das ist ein öffentlicher Park.«
Sie war hübscher, als sie am Telefon geklungen
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