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Der größere Teil der Welt - Roman

Der größere Teil der Welt - Roman

Titel: Der größere Teil der Welt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Egan
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und schütte Salz über die Haare auf meinem Arm, und in mir entsteht ein Gefühl: Es ist zu Ende. Alles ging vorbei, ohne mich. An solchen Tagen darf ich die Augen nicht zu lange schließen, sonst geht der Spaß richtig los.
    »Ach, Lou, wir sind zwei alte Schachteln – gib’s zu«, sagt Rhea und tätschelt ihm die gebrechliche Schulter.
    Sie zeigt ihm Bilder ihrer Kinder und hält sie dabei dicht vor sein Gesicht.
    »Die ist niedlich«, sagt er über die Älteste, Nadine, sie ist sechzehn. Ich glaube, er zwinkert, vielleicht zuckt aber auch nur sein Auge.
    »Ach hör doch auf«, sagt Rhea.
    Ich sage nichts. Ich spüre es – den Stich – wieder. In meinem Magen.
    »Was ist mit deinen Kindern?«, fragt Rhea Lou. »Siehst du sie oft?«
    »Manche«, sagt er mit seiner halb erstickten, neuen Stimme.
    Er hatte sechs, aus drei Ehen, durch die er sich geschleppt und die er dann weggeworfen hat. Rolph, der Zweitälteste, war sein Liebling. Rolph hat hier gewohnt, in diesem Haus, ein sanfter Junge mit blauen Augen, dessen Blick ein wenig träumerisch wurde, wenn er ihn auf seinen Vater richtete. Rolph und ich waren genau gleichaltrig. Derselbe Geburtstag, dasselbe Jahr. Ich habe mir immer vorgestellt, wie wir winzige Babys in zwei Krankenhäusern waren, die gleichzeitig weinen. Einmal haben wir uns nebeneinander nackt vor einen mannshohen Spiegel gestellt, um zu sehen, ob die Geburt am selben Tag irgendwelche Spuren hinterlassen hatte. Irgendein Zeichen, das wir finden könnten.
    Am Ende sprach Rolph nicht mehr mit mir, verließ das Zimmer, wenn ich hereinkam.
    Lous großes Bett mit der zerknitterten lila Tagesdecke ist verschwunden, Gott sei Dank. Der Fernseher ist neu, flach und breit, und das Basketballspiel, das gerade läuft, ist von einer nervösen Schärfe, die das Zimmer und sogar uns schmutzig aussehen lässt. Ein schwarz gekleideter Typ kommt herein, einen Diamanten im Ohr, macht sich an Lous Schläuchen zu schaffen und misst ihm den Blutdruck. Unter den Decken führen Schläuche von Lous anderen Körperteilen in Plastiksäcke, und ich versuche, nicht hinzusehen.
    Ein Hund bellt. Lou hat die Augen geschlossen, und er schnarcht. Der elegante Privatpfleger schaut auf seine Armbanduhr und geht.
    Das war es also, was mich all diese Zeit gekostet hat. Ein Mann, der sich als alt entpuppt, ein Haus, das sich als leer erweist. Ich kann nichts dagegen tun, ich fange an zu weinen. Rhea legt den Arm um mich. Sogar nach all diesen Jahren zögert sie nicht. Ihre Haut hängt herab – sommersprossige Haut altert vor ihrer Zeit, hat Lou mir einmal gesagt, und Rhea besteht nur aus Sommersprossen. »Unsere Freundin Rhea«, sagte er, »sie ist verloren.«
    »Du hast drei Kinder«, schluchze ich ihr ins Haar.
    »Schhh.«
    »Was habe ich?«
    Leute, an die ich mich von der Highschool her erinnere, drehen Filme, bauen Computer. Produzieren Filme auf dem Computer. Eine Revolution, wird immer wieder gesagt. Ich versuche, Spanisch zu lernen. Nachts hört meine Mutter mich mit Karteikarten ab.
    Drei Kinder. Die Älteste, Nadine, ist fast so alt wie ich, als ich Lou kennengelernt habe. Siebzehn, beim Trampen. Er fuhr einen roten Mercedes, im Jahr 1979, das hätte der Anfang einer aufregenden Geschichte sein können, einer Geschichte, in der alles möglich gewesen wäre. Jetzt ist es ein Witz. »Das hatte alles keinen Sinn«, sage ich.
    »Das stimmt nicht«, sagt Rhea. »Du hast den Sinn nur noch nicht gefunden.«
    Rhea wusste immer, was sie tat. Sogar beim Tanzen, sogar beim Weinen. Sogar mit einer Nadel in der Vene verstellte sie sich noch. Ich nicht.
    »Ich habe mich verirrt«, sage ich.
    Es ist einer der schlechten Tage, an denen die Sonne sich anfühlt, als habe sie Zähne. Wenn meine Mutter heute Abend von der Arbeit nach Hause kommt und mich sieht, wird sie sagen: »Vergiss Spanisch«, und uns Virgin Marys mit Schirmchen mixen. Wir werden Dave Brubeck hören und Domino oder Gin Rommé spielen. Jedes Mal, wenn ich meine Mutter anschaue, lächelt sie. Aber ihrem Gesicht sieht man die Erschöpfung an.
    Die Stille verändert sich, und wir merken, dass Lou uns beobachtet. Seine Augen sind so leer, er könnte ebenso gut tot sein. »War nicht. Draußen. Seit Wochen«, sagt er und hustet ein wenig. »Wollte nicht.«
    Rhea schiebt das Bett. Ich gehe einen Schritt hinter ihr her und ziehe den Tropf auf seinen Rädern. Während wir Lou durch das Haus bewegen, habe ich Angst, als könnte die Kombination von Sonnenschein und Krankenhausbett

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