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Der groesste Teil der Welt

Der groesste Teil der Welt

Titel: Der groesste Teil der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Egan
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blieb stehen. »Was sollen wir gesehen haben?«, fragte er.
    »Meine Brieftasche ist gestohlen worden. Mein Ausweis war darin, und ich muss morgen früh mein Flugzeug kriegen. Ich bin völlig verzweifelt!« Sie starrte die beiden flehend an. Es war die Art von offener Not, die New Yorker schnell zu verbergen lernen, und Sasha wich zurück. Sie wäre nie auf die Idee gekommen, dass die Frau nicht aus der Stadt sein könnte.
    »Haben Sie die Polizei verständigt?«, fragte Alex. »Der Mann an der Rezeption will das übernehmen, aber dann dachte ich - könnte sie irgendwo rausgefallen sein?« Sie schaute hilflos den Marmorboden um ihre Füße an. Sasha entspannte sich ein wenig. Diese Frau war eine von denen, die anderen auf die Nerven ging, ohne es zu wollen; sogar jetzt, während sie Alex zur Rezeption folgte, baten ihre Bewegungen um Entschuldigung. Sasha trödelte hinterher.
    »Hilft schon jemand dieser Dame?«, hörte sie Alex fragen.
    Der Hotelangestellte war jung und hatte eine Stachelfrisur. »Wir haben bei der Polizei angerufen«, sagte er abwehrend.
    Alex wandte sich an die Frau.
    »Wo ist das passiert?«
    »Auf der Damentoilette. Glaube ich.«
    »Wer war sonst noch dort?«
    »Niemand.«
    »War sie leer?«
    »Es kann jemand dort gewesen sein, aber ich habe sie nicht gesehen.«
    Alex fuhr zu Sasha herum. »Du warst doch eben noch auf der Toilette«, sagte er. »Hast du jemanden gesehen?«
    »Nein«, brachte sie heraus. Sie hatte Tafil dabei, aber sie konnte ja die Handtasche nicht aufmachen. Obwohl der Reißverschluss zu war, hatte sie Angst, die Brieftasche könnte auf unkontrollierbare Weise zum Vorschein kommen und eine Sturzflut von Schrecken auslösen: Verhaftung, Schande, Armut, Tod.
    Alex wandte sich dem Mann an der Rezeption zu. »Wieso stelle ich eigentlich diese Fragen und nicht Sie?«, fragte er. »In Ihrem Hotel ist soeben ein Gast ausgeraubt worden. Haben Sie denn keine, na ja, Sicherheitsmaßnahmen?«
    Die Wörter »ausgeraubt« und »Sicherheitsmaßnahmen« durchdrangen die beruhigende Hintergrundmusik, die nicht nur im Lassimo, sondern in allen vergleichbaren Hotels in New York City dudelte. Durch die Lobby ging ein leises Raunen.
    »Ich habe die Sicherheitsleute verständigt«, sagte der Empfangsmitarbeiter und reckte den Hals. »Ich rufe sie noch einmal an.«
    Sasha schaute verstohlen zu Alex hinüber. Er war empört, und diese Empörung enthüllte sein Wesen in einer Weise, wie es in einer Stunde voll oberflächlichem Geplauder (um ehrlich zu sein, vor allem ihrem) nicht gelungen war: Er war neu in New York. Er kam aus einem kleineren Ort. Er musste hier klarstellen, wie man miteinander umgehen sollte.
    Zwei Sicherheitsleute tauchten auf, im Fernsehen wie im wirklichen Leben muskulöse Kerle, deren ausgesuchte Höflichkeit mit ihrer Bereitschaft, Schädel einzuschlagen, zusammenzuhängen schien. Sie schwärmten aus, um die Bar zu durchsuchen. Sasha wünschte sich fieberhaft, sie hätte die Brieftasche dort gelassen, als wäre es ein Impuls gewesen, dem sie mit Mühe widerstanden hatte.
    »Ich seh mal auf der Toilette nach«, sagte sie zu Alex und zwang sich, langsam an den Fahrstühlen vorbeizuwandern. Die Toilette war leer. Sasha öffnete ihre Handtasche, nahm die Brieftasche heraus, fand ihr Röhrchen mit Tafil und schob sich eins zwischen die Zähne. Die wirkten schneller, wenn man sie zerkaute. Während der ätzende Geschmack durch ihren Mund spülte, sah sie sich um und versuchte, zu entscheiden, wo sie die Brieftasche ablegen sollte: in einer der Kabinen? Unter dem Waschbecken? Die Entscheidung treffen zu müssen lähmte sie. Sie musste das Richtige tun, um ungeschoren davonzukommen, und wenn sie das schaffte, wenn sie davonkam - sie hatte das panische Gefühl, Coz etwas zu versprechen.
    Die Tür zur Toilette ging auf, und die Frau kam herein. Ihre ängstlichen Augen begegneten Sashas im Spiegel über den Waschbecken: zusammengekniffen, grün, ebenso ängstlich. Einen Moment war es still, und Sasha war klar, dass sie zur Rede gestellt werden würde; die Frau wusste Bescheid, sie hatte es die ganze Zeit gewusst. Sasha reichte ihr die Brieftasche. Sie sah der verdutzten Miene der Frau an, dass sie sich geirrt hatte.
    »Es tut mir leid«, sagte Sasha eilig. »Ich habe eben dieses Problem.«
    Die Frau öffnete die Brieftasche. Ihre physische Erleichterung darüber, sie wiederzuhaben, überkam Sasha wie eine warme Flut, als wären ihre Körper miteinander verschmolzen. »Alles ist noch drin,

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