Der groesste Teil der Welt
seinen Tod. War dieses Ende eine bizarre Abweichung von den Naturgesetzen, oder war es normal - etwas, das sie hätten kommen sehen müssen? Hatten sie es irgendwie herausgefordert?
Jules legte den Arm um sie. »Wenn du mich heute morgen gefragt hättest, hätte ich gesagt, dass wir am Ende sind«, sagte er. »Wir alle, das ganze Land - die ganze verdammte Welt. Aber jetzt spüre ich das genau Gegenteil.«
Stephanie merkte es. Sie konnte geradezu hören, wie die Hoffnung ihren Bruder aufblühen ließ. »Und wie lautet die Antwort nun?«, fragte sie.
»Natürlich geht alles zu Ende«, sagte Jules. »Nur noch nicht jetzt.«
V
Stephanie brachte ihren nächsten Termin hinter sich, ein Treffen mit einem Designer von Lacklederhandtäschchen; dann ignorierte sie ihr ungutes Gefühl und schaute in der Agentur vorbei. Ihre Chefin, La Doll, telefonierte, wie immer, aber sie legte die Hand auf den Hörer und rief aus ihrem Büro: »Was ist passiert?«
»Nichts«, sagte Stephanie erschrocken noch im Eingang.
»Alles in Ordnung mit dem Taschenmann?« La Doll behielt die Termine ihrer Angestellten mühelos im Kopf, sogar die von Freien wie Stephanie.
»Alles bestens.«
La Doll beendete ihr Gespräch, ließ einen Espresso aus der Krups-Maschine auf ihrem Tisch in ihre unerschöpfliche fingerhutgroße Tasse schießen und rief: »Kommen Sie mal her, Steph.«
Stephanie betrat das riesige Eckbüro ihrer Chefin. La Doll gehörte zu den Leuten, die sogar denen, die sie gut kannten, wie eine digital bearbeitete Version ihrer selbst erschien: die hellblonde Kurzhaarfrisur, der raubtierhafte Lippenstift, die unruhigen, ausdruckslosen Augen. »Nächstes Mal«, sagte sie und röntgte Stephanie kurz mit ihrem Blick, »sagen Sie den Termin ab.«
»Wie bitte?«
»Ich konnte Ihre schlechte Laune schon von hier aus spüren«, sagte La Doll. »Das ist wie eine Grippe. Damit muss man die Kunden verschonen.«
Stephanie lachte. Sie kannte ihre Chefin schon ewig - lange genug jedenfalls, um zu wissen, dass es ihr absolut ernst war. »Gott, Sie sind gemein«, sagte sie.
La Doll kicherte und wählte schon die nächste Nummer. »Ich geb mir Mühe«, sagte sie.
Stephanie fuhr zurück nach Crandale (Jules hatte die Bahn genommen), um Chris vom Fußballtraining abzuholen. Mit seinen sieben Jahren war ihr Sohn noch bereit, Stephanie nach einem Tag, an dem sie getrennt gewesen waren, um den Hals zu fallen. Sie drückte ihn an sich und atmete den Weizenduft seiner Haare ein. »Ist Onkel Jules zu Hause?«, fragte Chris. »Hat er irgendwas gebaut?«
»Nein, Onkel Jules hat heute gearbeitet«, sagte sie und verspürte bei diesen Worten ein stolzes Kribbeln. »Er hat heute in der Stadt gearbeitet.«
Die Wirren des Tages waren zu einem einzigen bohrenden Wunsch verschmolzen: Sie wollte mit Bennie reden. Stephanie hatte mit Sasha gesprochen, seiner Assistentin, die sie eine Weile lang im Verdacht hatte, Bennies Seitensprünge zu decken, die sie aber in den Jahren seit seiner reuigen Bekehrung liebgewonnen hatte. Bennie hatte auf dem Heimweg angerufen, weil er in einem Stau steckte, aber Stephanie wollte es ihm lieber persönlich erzählen. Sie stellte sich vor, wie sie mit Bennie über Bosco lachen und die Last ihrer merkwürdigen Traurigkeit von ihren Schultern genommen würde. Eins wusste sie: Sie würde nie wieder wegen der Tennisspielerei lügen.
Bennie war noch nicht zu Hause, als sie und Chris eintrafen. Jules tauchte mit einem Basketball auf und forderte Chris auf, mit ihm ein paar Körbe zu werfen. Sie verschwanden in der Auffahrt, und bald bebte die Garagentür von ihren Treffern. Die Sonne näherte sich dem Horizont.
Bennie kam endlich nach Hause und ging sofort nach oben, um zu duschen. Stephanie legte tiefgefrorene Hähnchenschenkel zum Auftauen in warmes Wasser und ging dann ebenfalls nach oben. Dampf quoll durch die offene Badezimmertür in ihr Schlafzimmer und wirbelte in den letzten Sonnenstrahlen. Stephanie hätte auch gern geduscht - sie hatten eine Doppeldusche mit handgefertigten Armaturen, über deren astronomischen Preis sie sich gestritten hatten. Aber Bennie hatte nicht nachgegeben.
Sie streifte die Schuhe ab, knöpfte ihre Bluse auf und warf sie zu Bennies Kleidern auf das Bett. Der Inhalt seiner Taschen war auf dem kleinen antiken Tisch verstreut, wo er ihn immer hinlegte. Stephanie warf einen Blick darauf, eine alte Gewohnheit aus den Tagen, als sie mit ständigem Misstrauen gelebt hatte. Münzen,
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