Der groesste Teil der Welt
Häusern an den Abhängen, die zu einem rauchigen Schleier verschwammen. Bald waren sie davon umgeben. Die wichtigste Farbquelle der Stadt schien die Wäsche zu sein, die über allen Balkons flatterte.
Der Fahrer hielt neben einem Marktplatz. Haufen aus feuchtem Obst und duftenden Nüssen und Handtaschen aus Kunstleder. Während sie und Lulu hinter Are her an den Ständen vorübergingen, musterte Dolly das Angebot kritisch. Hier gab es die größten Apfelsinen und Bananen, die sie je gesehen hatte, das Fleisch hingegen sah bedenklich aus. Dolly konnte der betonten Ungezwungenheit von Verkäufern und Kundschaft ansehen, dass sie alle genau wussten, wer Are war.
»Hast du auf irgendwas Lust?«, fragte Are Lulu.
»Ja, gerne«, sagte Lulu. »Bitte eine davon.« Es war eine Sternfrucht, Dolly hatte so etwas schon einmal bei Dean & DeLuca gesehen. Hier lagen sie in gewaltigen Haufen herum und waren voller Fliegen. Are nahm eine und nickte dem Verkäufer, einem älteren Mann mit knabendürrer Brust und freundlichem, besorgten Gesicht, kurz zu. Der Mann lächelte und nickte Dolly und Lulu eifrig zu, aber seine Augen sahen verängstigt aus.
Lulu nahm die staubige, ungewaschene Frucht, wischte sie vorsichtig an ihrem kurzärmligen Polohemd ab und bohrte die Zähne in die hellgrüne Schale, so dass ihr der Saft auf den Kragen spritzte. »Mom, die musst du mal probieren«, sagte sie, und Dolly biss ebenfalls hinein. Sie und Lulu teilten die Sternfrucht und leckten sich unter Ares wachsamen Blicken die Finger ab. Dolly fühlte sich seltsam überschwänglich. Dann ging ihr auf, warum: Mom. Zum ersten Mal seit fast einem Jahr hatte Lulu dieses Wort benutzt.
Are führte sie in eine überfüllte Teestube. Line Gruppe von Männern machte eilig einen Ecktisch für sie frei, und dann trat wieder eine verkrampfte Nachahmung der vorherigen zufriedenen Geschäftigkeit ein. Ein Kellner schenkte ihnen mit zitternder Hand süßen Pfefferminztee ein. Dolly versuchte, den Mann beruhigend anzusehen, aber er wich ihrem Blick aus.
»Machen Sie das oft?«, fragte sie Are. »Durch die Stadt wandern?«
»Der General hat es sich zur Gewohnheit gemacht, sich unter das Volk zu mischen«, sagte Are. »Er möchte, dass sie seine Menschlichkeit spüren, sie erleben. Aber natürlich muss er dabei sehr vorsichtig sein.«
»Wegen seiner Feinde.«
Are nickte. »Leider hat der General viele Feinde. Heute zum Beispiel wurde sein Haus bedroht, und deshalb musste er einen anderen Ort aufsuchen. Das macht er oft, wie Sie wissen.«
Dolly nickte. »Sein Haus bedroht?«
Are lächelte. »Seine Feinde glauben, dass er hier ist, aber in Wirklichkeit ist er weit weg.«
Dolly schaute kurz zu Lulu hinüber. Die Sternfrucht hatte einen glänzenden Ring um ihren Mund hinterlassen. »Aber … wir sind hier«, sagte sie. »Ja«, sagte Are. »Nur wir.«
Dolly lag fast die ganze Nacht wach und lauschte dem Gegurre und Geraschel und Gequake, das für sie wie die Geräusche von Attentätern klang, die auf der Suche nach dem General und seiner Kohorte auf dem Grundstück herumschlichen, mit anderen Worten: Auf der Suche nach ihr. Sie war zur Komplizin und mit General B. zur gemeinsamen Zielscheibe geworden, eine Quelle der Furcht und Panik für die, über die er regierte.
Wie hatte es so weit kommen können? Wie so oft fand sich Dolly plötzlich wieder in den Moment zurückversetzt, als die Kunststoffschalen damals nachgegeben hatten und das Leben, das sie so viele Jahre genossen hatte, hinweggeschwemmt wurde. Aber heute Nacht, anders als in den zahllosen anderen Nächten, wenn Dolly in diesen Erinnerungsschacht gekippt war, lag Lulu neben ihr in dem riesigen Bett, schlafend in einem mit Spitzen besetzten Nachthemd, die Rehkitzknie angezogen. Dolly spürte die Körperwärme ihrer Tochter, dieses Kindes ihrer mittleren Jahre, einer zufälligen Schwangerschaft, die sich aus einer kurzen Episode mit einem Klienten vom Film ergeben hatte. Lulu hielt ihren Vater für tot; Dolly hatte ihr Bilder eines früheren Freundes gezeigt.
Sie rutschte auf die andere Seite des Bettes und küsste Lulus warme Wange. Es war eigentlich völlig unsinnig gewesen, ein Kind zu bekommen - Dolly war für Abtreibungsfreiheit und hing an ihrer Karriere. Ihr Entschluss hatte festgestanden, und doch hatte sie es aufgeschoben, den Termin zu vereinbaren - hatte es durch morgendliche Übelkeit, Stimmungsschwankungen, Erschöpfung hindurch aufgeschoben. Aufgeschoben, bis ihr mit einem Schock aus
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