Der große Bio-Schmaeh
schon gedacht war.« Er erzählte mir, dass er hundertdreißig Privatkunden im Raum Wien habe. Jede Familie werde im Rhythmus von zwei Wochen mit einer Bio-Gemüsekiste aus dem Horner Wald direkt vor die Haustüre beliefert. »Ich fahre bis zu dreimal pro Woche mit meinem Lieferwagen nach Wien, um meine Ware zuzustellen. Wöchentlich verkaufe ich auf diese Weise fünfundsechzig Gemüsekisten. Und jede wiegt sieben Kilogramm.« Einen kleinen Teil seiner Ware kaufe er von anderen Bauern aus der Region zu.
Nachdem ich den fairen Preis für eine Kiste erfahren hatte, rechnete ich im Überschlag nach: Es ging sich auf jeden Fall aus, eine ganze Familie dank dieser direkten Vermarktungsweise gebührend zu ernähren. »Die Nachfrage ist so enorm, dass ich jederzeit expandieren könnte.« Dies aber würde er auf alle Fälle nur bis zu einer gewissen Grenze tun, meinte der Bio-Landwirt. Wenn überhaupt. Er habe schon einmal nachgerechnet: Würde er seine gesamte Anbaufläche auf etwa vier Hektar verdoppeln, was in Relation zum Massenmarkt noch immer verschwindend klein wäre, könnte er eine volle Arbeitskraft mit allen arbeitsrechtlichen Abgaben anstellen. »Viel interessanter an der steigenden Nachfrage ist aber etwas anderes«, meinte der Bio-Landwirt: »Sie beweist, dass es noch genügend Platz für Bauern in der Direktvermarktung gibt. Das ist sicher kein verstaubtes Gewerbe!«, sagte er.
Als Vertragspartner von Bio-Konzernen des Massenmarktes hätte Helmut Butolen keine Chance zu überleben. Weder wäre es ihm möglich, die hohen Mengen zu produzieren, um unter dem Preisdruck überhaupt Gewinne zu erzielen, noch könnte er die Gleichförmigkeit der Ware sicherstellen. Die Individualität seines Bauernhofes würde untergehen. Die biologisch-kulturelle Vielfalt seiner Pflanzengesellschaft würde verschwinden und der reiche Erfahrungsschatz von Helmut Butolen rund um die Kunst der Mischkultur müsste irgendwo unter einem Berg von Bio TM -Hybridtomaten begraben werden. »Haben Sie sich schon einmal gefragt, weshalb wir in Supermärkten nur annähernd kerzengerade Gurken kaufen können, die noch dazu allesamt in etwa gleich lang sind?«, fragte mich der überzeugte Direktvermarkter, während er auf eine stark gebogene Gurke in seiner Hand schielte.
Die Antwort auf diese Frage hatte mir erst wenige Tage zuvor ein Logistik-Mitarbeiter aus der Lebensmittelbranche gegeben: »Das liegt daran, dass die Konzerne genau berechnet haben, wie viele Gurken in ihre Schachteln, auf ihre Paletten und schließlich auf die Lastwagen passen. Ist eine Gurke krumm, zu lang oder zu kurz, füllt sie den Raum nicht optimal aus«. Dann, so erfuhr ich von dem erfahrenen Gemüsetransporteur, könne man den Platz in den Sattelschleppern und LKW-Zügen sowie in den Zentrallagern nicht optimal ausnutzen. »Das führt betriebswirtschaftlich zu keinem optimierten Ergebnis«, wurde mir erklärt. »Außerdem sind die Verpackungsmaschinen und die Verpackungen auf eine genormte Gurke eingestellt.« Es gibt also den »Prototyp« der Gurke, wie ihn sich der konventionelle Handel auch von Bio-Produzenten aus wirtschaftlichen Gründen wünscht. Gurken, die aus der Reihe tanzen, müssen vernichtet werden.
Jedes Jahr fallen Tonnen von Bio-Gemüse dem »Qualitätsmanagement« der Supermarktkonzerne und Discounter zum Opfer, weil die Erdenfrüchte optisch nicht ins Konzernschema passen.
Unter solchen Bedingungen zu produzieren, würde dem Bio-Bauern Butolen aus dem Waldviertel ohnedies nicht in den Kragen passen: »Ich stelle Naturprodukte her und jede einzelne Gemüsefrucht, jeder Apfel, jede Karotte ist ein Unikat. Meine Privatkunden wissen das, und sie wollen es so. Es hat mich nie gereizt, an Supermärkte zu liefern.« Die Werte und Ansprüche der Idee des Ökolandbaus lassen sich am besten durch dezentrale, direkte Vermarktung verwirklichen. Der Agrarwissenschaftler und ehemalige Direktor der »International Federation Of Organic Agriculture Movements« (IFOAM), Bernward Geier, forderte 1985 ein möglichst einstufiges System zur Vermarktung von Bio-Lebensmitteln vom Produzenten zum Konsumenten. 68 Dieser Anspruch war zur Hochblüte des ökologischen Nischenmarktes bis in die frühen Neunziger, also bis kurz vor Einstieg der konventionellen Supermärkte, Standard für Vertreter des Ökolandbaus.
1979 fasste der ORF-Redakteur Helmut Voitl in seinem Begleitheft zu den TV-Filmen über ökologische Landwirtschaft die infrage kommenden Vermarktungswege für
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