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Der große deutsche Märchenschatz

Der große deutsche Märchenschatz

Titel: Der große deutsche Märchenschatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anaconda
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dunkel, da kann unmöglich der liebe Gott hineinsehen; komm, lass uns hinuntergehen, Lieschen, komm geschwind, geschwind!«
    Görgel fasste sein zögerndes Schwesterchen fest an der Hand und zog es schnell mit sich fort, hinunter in den Keller, wo er sorgfältig die Türe von innen zumachte, dass kein Tag hineinscheine und es der liebe Gott nicht sähe, wenn sie von dem Rahm naschten. Aber nach einigen Minuten wurde es ein wenig licht im Keller, Lieschen sah, dass durch eine Mauerspalte die liebe Sonne hereinschien und gerade auf das Rahmtöpfchen, da erschrak das gute Lieschen und ging eilig wieder hinauf in die Stube. Görgel aber blieb, verstopfte ärgerlich die Spalte mit Moos und fing an, von dem Rahm zu essen. Doch wie er im besten Lecken und Schlecken war, rollte ein mächtiger Donner über ihn, und der Blitz zuckte durch die Mauerspalte, dass es ganz hell und feurig im Keller war, und ein schwarzer Mann stieg aus einer Ecke des Kellers, schritt auf Görgel zu und setzte sich ihm gerade gegenüber; er hatte zwei feurige Augen, mit denen er fort und fort nach dem Rahmtöpfchen hinfunkelte, sodass der Görgel vor Angst keinen Finger regen konnte und dass er ganz still sitzen bleiben musste.
    Indessen war zum Lieschen droben in der Stube ein gar holdes Engelein gekommen, hatte ihm, nebst vielen schönen Spielsachen und Kleidern, auch Zuckerküchlein und süße Milch gebracht und hatte so lange mit Lieschen gespielt, bis dessen Eltern zurückkamen, die mit großer Freude die schönen Sachen betrachteten. Als dieselben nach dem Görgel fragten, erschrak Lieschen, denn sie hatte über die schönen Geschenke von dem Engelskindlein ganz vergessen, dass ihr Bruder im Keller geblieben war, und rief nun: »Ach, du lieber Gott, der ist ja noch im Keller, wir wollen ihn geschwinde holen, vielleicht kann er die Türe nicht wieder aufbringen.« Alle gingen schnell hinunter, machten die Kellertüre auf, und siehe, da saß Görgel noch ganz starr und hielt den Rahmtopf in der Hand. Und wie er das Geräusch hörte und seine Mutter sah, erschrak er heftig und fuhr zusammen und weinte. Und die Mutter nahm ihm den halb geleerten Rahmtopf aus den Händen, führte ihn heraus aus dem Keller und gab ihm seinen wohlverdienten Plätzer.
    Der Görgel hat aber in seinem ganzen Leben nicht wieder genascht, und wenn später manchmal andre ihn zu etwas Bösem verleiten wollten und zu Taten, die das Licht scheuen, so sagte er immer: »Ich tu’s nicht, ich gehe nicht mit, der Gott Überall sieht’s, Gott behüte mich!« – Und ist ein durchaus rechtlicher und braver Mann geworden.

Das Tränenkrüglein
    Es war einmal eine Mutter und ein Kind, und die Mutter hatte das Kind, ihr einziges, lieb von ganzem Herzen und konnte ohne das Kind nicht leben und nicht sein. Aber da sandte der Herr eine große Krankheit, die wütete unter den Kindern und erfasste auch jenes Kind, dass es auf sein Lager sank und zum Tod erkrankte. Drei Tage und drei Nächte wachte, weinte und betete die Mutter bei ihrem geliebten Kinde, aber es starb. Da erfasste die Mutter, die nun allein war auf der ganzen Gotteserde, ein gewaltiger und namenloser Schmerz, und sie aß nicht und trank nicht und weinte, weinte wieder drei Tage lang und drei Nächte lang ohne Aufhören und rief nach ihrem Kinde. Wie sie nun so voll tiefen Leides in der dritten Nacht saß, an der Stelle, wo ihr Kind gestorben war, tränenmüde und schmerzensmatt bis zur Ohnmacht, da ging leise die Türe auf, und die Mutter schrak zusammen, denn vor ihr stand ihr gestorbenes Kind. Das war ein seliges Engelein geworden und lächelte süß wie die Unschuld und schön wie in Verklärung. Es trug aber in seinen Händchen ein Krüglein, das war schier übervoll. Und das Kind sprach: »O lieb Mütterlein, weine nicht mehr um mich! Siehe, in diesem Krüglein sind deine Tränen, die du um mich vergossen hast; der Engel der Trauer hat sie in dieses Gefäß gesammelt. Wenn du nur noch eine Träne um mich weinest, so wird das Krüglein überfließen, und ich werde dann keine Ruhe haben im Grabe und keine Seligkeit im Himmel. Darum, o lieb Mütterlein, weine nicht mehr um dein Kind, denn dein Kind ist wohl aufgehoben, ist glücklich, und Engel sind seine Gespielen.« Damit verschwand das tote Kind und die Mutter weinte hinfort keine Träne mehr, um des

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