Der grosse eBook-Raetselkrimi
Jetzt brauchte er keine Schuhe mehr.
Der Schwaiger-Bauer wollte die Stiefel der für eine Wandertour viel zu elegant gekleideten Frau zuerst schenken. Er sah ihr an, dass sie diesen Weg nicht aus Spaß an der Freude auf sich nahm. Niemand machte in diesen Tagen eine Wanderung aus Spaß. Doch die Schwaiger-Bäuerin wollte den Ring dafür. Wenn sie schon den Schorsch hatte hergeben müssen, dann wollte sie wenigstens den Ring mit dem funkelnden Stein im Tausch für seine Bergschuhe. Für irgendwas musste das alles ja gut gewesen sein. Und so legte Christina Gerdens ihren Verlobungsring mit dem kleinen Diamanten auf den Bauerntisch. Mainhardt hatte ihn ihr erst im Auto auf der Rollbahn in Gatow gegeben.
Sie hätte auch das Säckchen mit den Brillanten öffnen und einen der Steine herausziehen können. Dafür hätte sie wahrscheinlich den ganzen Schwaigerhof bekommen. Doch diese Steine waren für die höchsten Orden des Reiches bestimmt gewesen. Sie für den eigenen Komfort herzugeben wäre ihr profan vorgekommen. Da opferte sie lieber den eigenen Verlobungsring.
Am nächsten Morgen würde sie sich aufmachen. Es war klug gewesen, hier in dem Weiler Fall ein paar Tage zu pausieren. Um nicht den Häschern des untergehenden Reiches in die Hände zu fallen. Auch Frauen wurden mittlerweile wegen Verrats und Zersetzung aufgeknüpft. Was hätte sie den Werwölfen sagen sollen, wo sie herkam? Und was sie dabeihatte? Das hätte ihr kein Mensch geglaubt. Und mit Menschen würde sie es nur bedingt zu tun bekommen, das war auch ihr klar. Sie würden sie als feindliche Spionin am nächstbesten Laternenpfahl aufknüpfen. Wenn sie Glück hätte.
Der Schwaiger-Bauer und seine Frau fragten nicht. Sie nahmen den Schmuck und waren damit zufrieden. Sie wussten nicht, was noch kommen würde. Da waren Edelmetall und Steine die einzig wahre Währung.
Nach dem Abendessen saßen sie mit der fremden Frau noch in der Wohnküche, wo es am wärmsten war. Die Schwaigerin strickte. Und der Schwaiger reinigte seine doppelläufige Flinte. Wie an jedem Abend vor dem Schlafengehen. Was wusste er, wer als Nächstes auf seinen Hof kommen würde. Der Amerikaner stand angeblich schon in München. Und der Gruber Sepp, der bei jedem Wind und Wetter als Scherenschleifer übers Land zog und sich davon auch nicht von einer näher rückenden Weltkriegsfront abhalten ließ, hatte berichtet, dass am Vorabend Garmisch kampflos übergeben worden sei. Und, dass die Amerikaner den Berghof aus der Luft zerstört hätten. Das Tölzer Land würde also bald von allen Seiten her eingeschlossen sein. Aber was, wenn der Russe es aus östlicher Richtung noch vorher schaffen würde? Wien war schon seit Mitte April in russischer Hand. Welche Flagge auch immer auf dem Schwaigerhof zuerst auftauchte: Der Schwaigerbauer würde sein Hab und Gut gegen Plünderungen verteidigen. Auch ohne fremde Soldaten gab es genug Anlass, wehrhaft zu sein: Seit Wochen trieben sich alle möglichen Leute herum, die alles klauten, was nicht niet-und nagelfest war.
Als sie die Meldung im Volksempfänger vernahmen, saßen sie mit versteinerten Mienen da. » Aus dem Führerhauptquartier wird gemeldet, dass unser Führer Adolf Hitler heute Nachmittag in seinem Befehlsstand in der Reichskanzlei, bis zum letzten Atemzug gegen den Bolschewismus kämpfend, für Deutschland gefallen ist …«
Der Schwaiger-Bauer stand auf und drehte das Radio aus. »Aus is und goar is, Schicklgruber«, lautete sein einziger Kommentar. Dann ließ er das Schloss des Jagdgewehrs zuschnappen und ging ins Bett.
Die Schwaiger-Bäuerin bekreuzigte sich und betete ein Ave-Maria. Dann strickte sie die Reihe fertig, legte Wolle und Nadeln unter den Herrgottswinkel auf die Eckbank und folgte ihrem Mann nach oben.
Christina Gerdens blieb sitzen und sagte nichts. Als sie die Schritte der beiden Bauersleute in der Schlafkammer über der Küche hörte, begann sie hemmungslos zu weinen.
In der Eng, 15.30 Uhr
Sie nahmen ihre brandneuen Rucksäcke aus dem Auto und banden sich die Bergstiefel fester.
»Dienstwaffe, bitte. Wir sind auf österreichischem Staatsgebiet. Da sollten wir so was vielleicht nicht mit uns rumtragen.« Plank hielt Stephanie Gärtner die Hand hin. Sie verzog den Mund, händigte dann aber die Heckler & Koch aus, die sie in der weiten Innentasche der Bergjacke verstaut hatte.
»Der Spindler schießt nicht auf uns. Also brauchen wir auch nicht auf ihn schießen. Und eine Gams werden wir auch nicht erlegen müssen.
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