Der gruene Heinrich [Erste Fassung]
freilich ein praktischer und triftiger Grund!« sagte der Graf mit herzlichem Lachen, »ich will Ihnen ferner auch nichts einwenden und wünsche Ihrer Jugend wie Ihren Hoffnungen das beste Gedeihen. Es sollte mich recht freuen, später einmal zu erfahren, wie Sie Ihre Rechnung befunden haben. Ich verlasse mich auch darauf; denn wenn man mit so klarem, schönem Willen in die Welt geht, so wird man gewiß etwas aus sich machen!«
Da die friedlich wackelnde Kutsche an einem Haltorte der Eisenbahn angekommen war und in demselben Augenblicke auch ein mächtiger Wagenzug heranpfiff, so stiegen sie nun aus und nahmen Abschied, indem der Graf, seinen jungen Gefährten mit fast wehmütiger Teilnahme ansehend, ihm noch ein freundliches »Aufs Wiedersehen« nachrief. Heinrich drängte sich noch mit seinem Gepäcke unter den Leuten umher, um seinen Platz in der dritten Klasse aufzufinden, während der vornehme Herr schon in einem bequemen und prächtigen Coupe der ersten Klasse sich ganz allein ausstreckte.
Er rutschte aber unruhig hin und her und sagte zu sich selbst »Wunderliches Verhältnis! Da würde ich nun gern mit diesem muntern Jungen weiterplaudern, aber der Unterschied unserer Geldbeutel reißt uns auseinander, und ich darf ihm keinen Platz bei mir anbieten, während ich zu weichlich bin, mich unter das Volk hinauszusetzen! Doch was hindert mich eigentlich daran?« Und schon wollte er wieder aussteigen, als der Zug sich mit einem grellen Pfiff in Bewegung setzte und bald über das Feld hinglitt, die Sonne im Rücken lassend.
Dieselbe näherte sich bei der Ankunft in der großen Hauptstadt, dem Reiseziele Heinrichs, schon ihrem Untergange und vergoldete mit ihren letzten Strahlen die weite Ebene samt der Stadt mit ihren Steinmassen und Baumwipfeln. Heinrich hatte kaum seine Sachen in einem Gasthofe untergebracht, so lief er ungeduldig wieder auf die Straße und stürzte sich unter das Wogen und Treiben der Stadt.
Da glühten im letzten Abendscheine griechische Giebelfelder und gotische Türme; Säulen der verschiedensten Art tauchten ihre geschmückten Häupter noch in den Rosenglanz, helle gegossene Bilder, funkelneu, schimmerten aus dem Helldunkel der Dämmerung, indessen buntbemalte offene Hallen schon durch Laternenlicht erleuchtet waren und von geschmückten Frauen durchwandelt wurden. Steinbilder ragten in langen Reihen von hohen Zinnen in die Luft, Königsburgen, Paläste, Theater, Kirchen bildeten große Gruppen zusammen, Gebäude von allen möglichen Bauarten, alle gleich neu, sah man hier vereinigt, während dort alte geschwärzte Kuppeln, Rat-und Bürgerhäuser einen schroffen Gegensatz machten. Es herrschte ein aufgeregtes Leben auf den Straßen und Plätzen. Aus Kirchen und mächtigen Schenkhäusern erscholl Musik, Geläute, Orgel-und Harfenspiel; aus mit allerlei mystischen Symbolen überladenen Kapellentüren drangen Weihrauchwolken auf die Gasse; schöne und fratzenhafte Künstlergestalten gingen scharenweis vorüber, Studenten in Schnürröcken und silbergestickten Mützen kamen daher, gepanzerte Reiter mit glänzenden Stahlhelmen ritten gemächlich und stolz über einen Platz, üppige Kurtisanen mit blanken Schultern zogen nach hellen Tanzsälen, von denen Pauken und Trompeten herniedertönten; alte dicke Weiber verbeugten sich vor dünnen schwarzen Mönchen, welche zahlreich umhergingen; unter offenen Hausfluren saßen wohlgenährte Spießbürger hinter gebratenen Gänsen und mächtigen Krügen und genossen den lauen Frühlingsabend; glänzende Wagen mit Mohren und Jägern fuhren vorbei und wurden aufgehalten durch einen ungeheuern Knäuel von Soldaten und Handwerksburschen, welche sich die Köpfe zerbleueten. Es war ein unendliches Gesumme überall und ein seltsamer Übergang der katholischen Festandacht und der kirchlichen Glockentöne in die laute Lustbarkeit des zweiten Osterabends.
Heinrich hatte sich aus dem Lärm verloren in eine lange und weite Straße, welche ganz von mächtigen neuen Gebäuden besetzt war. Steinerne Bildsäulen standen vor ernsten byzantinischen Fronten, die still und hoch in den dunkelnden Himmel hinaufstiegen, bald dunkelrot gefärbt, bald blendend weiß, alles wie erst heute und zur Mustersammlung für lernbegierige Schüler aufgestellt. Da und dort verschmelzten sich die alten Zierarten und Formen zu neuen Erfindungen, die verschiedensten Gliederungen und Verhältnisse stritten sich und verschwammen ineinander und lösten sich wieder auf zu neuen Versuchen; es
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