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Der gruene Heinrich [Erste Fassung]

Der gruene Heinrich [Erste Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Erste Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
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ob er eine Richtschnur oder wenigstens die Anknüpfungspunkte für eine solche herausfinden wollte. Es war die Geschichte seiner bisherigen Jugend, welche er in jugendlicher Subjektivität und Schreibseligkeit während der letzten Zeit vor seiner Abreise niedergeschrieben hatte, um sich eine Art Abschluß und Übersicht zu bilden.
    Bis seine neuen Verhältnisse eine bestimmte Gestalt angenommen haben, wollen wir das mäßige Büchlein durchlesen, um ihn selbst wie sein ferneres Geschick desto klarer beurteilen zu können. Schon daß er dasselbe geschrieben, ist so bezeichnend, daß auch der Inhalt denjenigen weiter anregen muß, der überhaupt an unserm Helden teilnehmen mag.

Eine Jugendgeschichte
    Mein Vater war ein Bauernsohn aus einem uralten Dorfe, welches seinen Namen von einer seit vielen Jahrhunderten verschollenen Familie hat.
    Niemand weiß mehr, wo einst das Schloß gestanden, von dem man in den Chroniken noch schwache Spuren findet; ebensowenig weiß man, wann der letzte »Edle« dieses Namens gestorben ist; aber das Dorf steht noch da, seelenreich und belebter als je, während das halbe Dutzend Familiennamen unverändert geblieben ist und für die zahlreichen, weitläufigen Geschlechter fort und fort ausreichen muß. Der kleine Gottesacker, welcher sich rings an die trotz ihres Alters immer schneeweiß geputzte Kirche schmiegt und niemals erweitert worden ist, besteht in seiner Erde buchstäblich aus den aufgelösten Gebeinen der vorübergegangenen Geschlechter; es ist unmöglich, daß bis zur Tiefe von zehn Fuß ein Körnlein sei, welches nicht seine Wanderung durch den menschlichen Organismus gemacht und einst die übrige Erde mit umgraben geholfen hat. Doch ich übertreibe und vergesse die vier Tannenbretter, welche jedesmal mit in die Erde kommen und den ebenso alten Riesengeschlechtern auf den grünen Bergen rings entstammen; ich vergesse ferner die derbe ehrliche Leinwand der Grabhemden, welche auf diesen Fluren wachs, gesponnen und gebleicht wurde und also so gut zur Familie gehört wie jene Tannenbretter und nicht hindert, daß die Erde unseres Kirchhofes so schön kühl und schwarz sei als irgend eine. Es wächst auch das grünste Gras darauf, und die Rosen nebst dem Jasmin wuchern in göttlicher Unordnung und Überfülle, so daß nicht einzelne Stäudlein auf ein frisches Grab gesetzt, sondern das Grab muß in den Blumenwald hineingehauen werden, und nur der Totengräber kennt genau die Grenze in diesem Wirrsal, wo das frisch umzugrabende Gebiet anfängt.
    Das Dorf zählt etwa zweitausend Bewohner, von welchen je etwa dreihundert den gleichen Namen führen; aber höchstens zwanzig bis dreißig von diesen pflegen sich Vetter zu nennen, weil die Familienerinnerungen selten bis zum Urgroßvater hinaufsteigen. Aus der unergründlichen Tiefe der Zeiten an das Tageslicht gestiegen, sonnen sich diese Menschen darin, so gut es gehen will, rühren sich und wehren sich ihrer Haut, um wohl oder wehe wieder in der Dunkelheit zu verschwinden, wenn ihre Zeit gekommen ist.
    Wenn sie ihre Nasen in die Hand nehmen, so sind sie sattsam überzeugt, daß sie eine ununterbrochene Reihe von zweiunddreißig Ahnen besitzen müssen, und anstatt dem natürlichen Zusammenhange derselben nachzuspüren, sind sie vielmehr bemüht, die Kette ihrerseits nicht ausgehen zu lassen. So kommt es, daß sie alle möglichen Sagen und wunderlichen Geschichten ihrer Gegend mit der größten Genauigkeit erzählen können, ohne zu wissen, wie es zugegangen ist, daß der Großvater die Großmutter nahm. Alle Tugenden glaubt jeder selbst zu besitzen, wenigstens diejenigen, welche nach seiner Lebensweise für ihn wirkliche Tugenden sind, und was die Missetaten betrifft, so hat der Bauer so gut Ursache wie der Vornehme, die seiner Väter in Vergessenheit begraben zu wünschen; denn er ist zuweilen eine so wüste und wilde Bestie wie manches andere Menschenkind.
    Ein großes rundes Gebiet von Feld und Wald bildet ein reiches unverwüstliches Vermögen der Bewohner; doch ist es eigentlich nicht ganz rund, indem mancher mächtige Acker, manche Zelle Laub-und Nadelholz jenseits der Hügel hinunter kühn und naseweis in das Gebiet anderer Gemeinden eingreift, während jene sich gelegentlich durch die glückliche und listige Erwerbung eines diesseitigen Grenzstückes rächen und daher das Ganze einen so zerfetzten Rand hat wie ein Bettlermantel. Dieser Reichtum blieb sich von jeher so ziemlich gleich; wenn auch hie und da eine Braut einen Teil

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