Der gruene Heinrich [Erste Fassung]
schien, als ob die tausendjährige Steinwelt, auf ein mächtiges Zauberwort in Fluß geraten, nach einer neuen Form gerungen hätte und über dem Ringen in einer seltsamen Mischung wieder erstarrt wäre. Wie zum Spotte ragte tief im Hintergrunde eine kolossale alte Kirche im Jesuitenstile über alle diese Schöpfungen empor, und die tollen Schnörkel und Schlangenlinien derselben schienen in dem schwachen Mondlichte auf und nieder zu tanzen. Das Getöse der inneren Stadt summte nur von ferne in die einsame, stille Straße herein, man hörte fast keines Menschen Tritt gehen, nur ein hoher, magerer Mann kam mit langen Schritten und wunderlichen Bewegungen durch das ersterbende Zwielicht daher und trat, als Heinrich ihn zerstreut ansah, plötzlich auf denselben zu und schlug ihm die Mütze vom Kopfe, daß sie auf den Boden fiel. Es lag aber etwas Schwärmerisches und gutmütig Edles in den Augen dieses Mannes, so daß Heinrich verlegen dastand, sich hinter den Ohren kratzte und nicht wußte, was nun wieder zu tun sei. Der Fremde rief ihm aber mit lauter Stimme zu »Warum gaffen Sie mich an und grüßen nicht? Was ist das für eine Ungezogenheit?« Heinrich sagte »Ich kenne Sie ja gar nicht, Herr!« – »So? Wissen Sie, ich bin der König!
Artig sein, Respekt haben, junger Mann!« und ohne eine fernere Rede abzuwarten, schritt er rasch von dannen.
Heinrich hob seine Mütze vom Boden, schlug den Staub ab und suchte eiligst seine Herberge auf.
Viertes Kapitel
Am andern Tage hantierte Heinrich Lee bereits in einem ge mieteten Zimmer umher und war bemüht, seine Siebensachen in den verschiedenen Hausgeräten unterzubringen. Sein gewaltiger altväterlicher Holzkoffer stand mitten auf dem Boden und schien sich nicht erschöpfen zu wollen; denn außer dem reichlichen Vielerlei, womit ihn die Mutter für des Leibes Bedürfnis versorgt hatte, führte er auch einen ziemlichen Vorrat an sonstigen Dingen mit, von denen er sich nicht hatte trennen können, obschon ein guter Teil keinen andern Wert hatte, als daß Heinrich bisher die Sachen täglich vor Augen und in Händen sah. Er kannte den Zustand noch nicht, wo man jedes entbehrliche Buch, jedes Kästchen oder Schächtelchen aus alter Zeit, Briefschaften, sogar musikalische Instrumente, die einem fast an die Hand gewachsen sind, über Bord wirft und, starr und ängstlich seine Zukunft suchend, welche immer zurückzuweichen scheint, während sie fortwährend um uns herumschleicht und hinter unserm Rücken unbemerkt zur Vergangenheit wird, mit dem zusammengepreßten Gepäcke eines Kuriers jahrelang dahinlebt, in Wohnungen, die ebenso knapp eingerichtet sind, ein Bett, ein Tisch, ein Sofa, vier Stühle, und das alles in der jämmerlichen Eleganz, wie sie der Laden eines Trödlers oder Möbelverleihers darbietet und der Geschmack einer hungrigen Witwe zusammenstellt. Da ist keine trauliche Uhr an der Wand, ja kein überzähliges Tischchen am Fenster, kein Blumenstock vor demselben; statt daß klare weiße Vorhänge schlicht darüberhangen, schlingt sich tollgewordener roter und gelber Kattun um einen trübselig vergoldeten Spieß, welcher schon zwölfmal verkauft und wieder gekauft wurde. Und trotz dieser Armseligkeit hat die einzige Kommode im Nu das Mitgebrachte des fahrenden Bewohners verschlungen, wie ein Haifisch eine Katze, und läßt nichts zu sehen übrig als hier einen Bogen Briefpapier, dort eine Haarbürste. Es ist ein unerquickliches Leben in dieser baumwollenen Pracht der Mietzimmer, immer den Reisekoffer neben dem Ofen!
Die Wohnung jedoch, welche Heinrich gefunden hatte, entsprach mehr seinen mitgebrachten mannigfaltigen Habseligkeiten. Sie war einfach, aber bequem und hatte in ihrer Einrichtung das Ansehen einer seit lange so bestandenen ordentlichen Wohnstube. Die Fenster gingen auf einen stillen Hof, die Sessel an denselben standen noch auf besonderen Erhöhungen, und noch ein anderer behaglicher Sitz zum träumerischen Ausruhen versprach die endlich geleerte Arche Noä Heinrichs zu werden, welche er zwischen den Ofen und das Bett hineinschob.
Er saß auch schon auf dem soliden Deckel, ausruhend und nachdenklich wie einer, der für den Augenblick nicht weiß, was eigentlich zunächst nun zu beginnen ist. Ohne Empfehlungen und Bekanntschaften in dieser Stadt angekommen, mußte er sich ganz allein zu helfen und nach eigenem Überblick und Urteil seine Tätigkeit zu ordnen suchen. In der Hand hielt er ein eingebundenes Manuskript und blätterte darin umher, als
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