Der gruene Heinrich [Erste Fassung]
Du mußt dich auch zeichnen lassen wie ich, hier ist alles das erste und letzte Eigentum eines einzelnen Menschen! Und je weniger das Wort in Wirklichkeit wahr ist, besonders in einer gesetzlich eingerichteten Monarchie, desto mehr kommt es mir als ein unwürdiger Spaß, als ein blauer Dunst vor, den man sich mit ernsthaftem Gesicht vormacht; je weniger ich, wenn ich recht tue, nach jemandem zu fragen habe, desto lästiger ist es mir, wenn ich mich doch so anstellen soll, vor einer Namenschiffer den Hut abzuziehen und den Nachbar dabei zu versichern, daß dies mein höchster Ernst sei. Eigentlich regieren überall doch diejenigen, welche die nötige Einsicht und Überlegenheit im Guten wie im Bösen dazu haben; manchmal ist es der Fürst, manchmal der letzte Hirtensohn seines Reiches, zuletzt fast immer die öffentliche Meinung oder die Mehrheit, und angesichts dieser Tatsache wird wohl nur darum die Republik in der weiten Welt fast unmöglich, weil sie von ihren Verkündigern anstatt zur Sache der kühlen Vernunft und Lebenspraxis zur Sache des Gefühls, zum religiösen Ideal gemacht wird, welches wieder der Heuchelei, der Schwärmerei und einem politischen Pfaffentum Tür und Tor öffnet.«
»Ei, Sie sprechen ja wie ein Buch, junger Freund! Sie sind wohl ein eifriger Politiker?«
»Das gerade nicht mehr, als nötig ist! Ich habe aber als ein Buchrepublikaner darüber nachgedacht, daß mein Volk so wenig Aufhebens macht mit seiner Republik, während es sich wahrhaft und nicht vorübergehend unglücklich fühlte, wenn es, durch irgendeine Übermacht bezwungen, auch von dem besten Fürsten zu besitzen und zu regieren versucht würde. Und je mehr sich dieses Volk von uns, die wir Bücher lesen und den weltgeschichtlichen Begriff der Republik kennen, unterscheidet, desto liebenswürdiger ist es in seiner Duldsamkeit gegen Andersgläubige, gegen monarchische Untertanen, denen es nicht das brutale car tel est notre plaisir entgegenzuschreien braucht, welches der bornierte Royalist hervorkehrt, wenn er über seine Anhänglichkeit an eine Dynastie, von der er in seinem Leben noch keinen kleinen Finger gesehen hat, keine Rechenschaft weiter geben kann. Ich für mich aber kann mir bereits vorstellen, wie es einem ist, der in der Türkei reist, dem Drehtanze eines Derwisches zusehen und sich wohl hüten muß, den Mund zu verziehen.«
»Auf dieses wenig schmeichelhafte Gleichnis«, sagte der Graf lächelnd, »kann ich Ihnen entgegnen, daß ein Royalist vielleicht in ähnlicher Lage ist auf einer Reise durch die Schweiz und daß demselben die dortigen Zustände sehr barbarisch, zufällig und roh vorkommen dürften!«
»Dagegen«, erwiderte Heinrich ebenfalls lachend, »könnte ich nur das alte Sprichwort halten, welches am Ende der besprochenen Toleranz meiner gemeinen Landsleute zugrunde liegt über den Geschmack ist nicht zu streiten!«
»Da haben Sie ganz recht«, sagte Heinrichs Begleiter und gab ihm die Hand, »auch ich bin vielleicht am wenigsten im Fall, mit Ihnen zu streiten.
Und was führt Sie denn, wenn ich fragen darf, nach unserm monarchischen Deutschland? Dem Anscheine nach sind Sie entweder Student oder ein junger Künstler?«
»Beides zusammen, wenn Sie wollen! letzteres im engern Sinne, ersteres überhaupt, insofern ich mir in der Mitte meines großen Stammvolkes selbst seine geistigen Errungenschaften aneignen und diejenigen allgemeinen Grundlagen und Anschauungen erwerben möchte, welche nur bei großen Sprachgenossenschaften zu finden sind und ohne welche es der einzelne zu nichts Ganzem und Höherm bringen kann.«
»Wie, eure schweizerische Nationalität genügt euch also doch nicht für den Hausgebrauch in allen Dingen? Sie gibt euch keine Ideen für ein höheres Bedürfnis?«
»Jedes Ding hat zwei Seiten, mein Herr! und, wie ich glaube, auch die Nationalität, oder was man so nennen mag. Man kann ein sehr guter Hausvater, ein anhänglicher, pflichtgetreuer Sohn sein und doch das entsprechende Gebiet für verschiedene Bedürfnisse und Fähigkeiten außer dem Hause suchen und finden. Und wie die Familie die sicherste, trostreichste Zuflucht ist nach jeder Abschweifung und Irrfahrt, so ist das Vaterland, wenn seine Grenzen einen natürlichen Zusammenhang haben und wenn es zudem noch den sichern Schoß eines aufgeweckten und vergnüglichen bürgerlichen Lebens bildet, der erste und letzte Zufluchtsort für alle seine besseren Kinder, und je ungleicher diese sich an Stamm und Sprache manchmal sind,
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