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Der gruene Heinrich [Erste Fassung]

Der gruene Heinrich [Erste Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Erste Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
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wurden seine Äußerungen über Menschen und Verhältnisse immer härter und zugleich bestimmter, indem sie sich ausschließlicher auf politische Dinge bezogen. Er ging alle Abende in den Lesezirkel unserer Stadt, las dort die französischen und englischen Blätter und pflegte sich vieles zu notieren, so wie er auch in seiner Wohnung allerlei geheimnisvolle Papierschnitzel handhabte und sich oft über wichtigem Schreiben betreffen ließ. Vorzüglich machte er sich oft mit dem Journal des Debats zu schaffen. Unsere Regierung nannte er einen Trupp ungeschickter Krähwinkler, den Großen Rat aber ein verächtliches Gesindel und unsere heimischen Zustände im ganzen dummes Zeug. Darüber ward ich stutzig und hielt mit meinen Zustimmungen zurück oder verteidigte unsere Verhältnisse und hielt ihn für einen malkontenten Menschen, welchen der lange Aufenthalt in fremden großen Städten mit Verachtung der engen Heimat gefüllt habe. Er sprach oft von Louis Philippe und tadelte dessen Maßregeln und Schritte wie einer, der eine geheime Vorschrift nicht pünktlich befolgt sieht. Einst kam er ganz unwirsch nach Hause und beklagte sich über eine Rede, welche der Minister Thiers gehalten. »Mit diesem vertrackten kleinen Burschen ist nichts anzufangen!« rief er, indem er ein Zeitungsexzerpt zerknitterte, »ich hätte ihm diese eigenmächtige Naseweisheit gar nicht angesehen! Ich glaubte in ihm den gelehrigsten meiner Schüler zu haben.« – »Zeichnet denn der Herr Thiers auch Landschaften?« fragte ich, und Römer erwiderte, indem er sich bedeutungsvoll die Hände rieb »Das eben nicht! lassen wir das!«
    Doch bald darauf deutete er mir an, daß alle Fäden der europäischen Politik in seiner Hand zusammenliefen und daß ein Tag, eine Stunde des Nachlasses in seiner angestrengten Geistesarbeit, die seinen Körper aufzureiben drohe, sich alsobald durch eine allgemeine Verwirrung der öffentlichen Angelegenheiten bemerklich mache, daß eine konfuse und ängstliche Nummer des Journal des Debats jedesmal bedeute, daß er unpäßlich oder abgespannt und sein Rat ausgeblieben sei. Ich sah meinen Lehrer ernsthaft an, er machte ein unbefangenes und ernsthaftes Gesicht, die gebogene Nase stand wie immer mitten darin, darunter der wohlgepflegte Schnurrbart, und über die Augen flog auch nicht das leiseste ungewisse Zucken.
    Mein Erstaunen gewann nicht Zeit, sich aufzuhellen, indem ich ferner erfuhr, daß Römer, während er der verborgene Mittelpunkt aller Weltregierung, zugleich das Opfer unerhörter Tyranneien und Mißhandlungen war. Er, der vor aller Augen auf dem mächtigsten Throne Europas hätte sitzen sollen von mehr als eines Rechtes wegen, wurde durch einen geheimnisvollen Zwang gleich einem gebannten Dämon in Verborgenheit und Armut gehalten, daß er kein Glied ohne den Willen seiner Tyrannen rühren kannte, während sie ihm täglich gerade so viel von seinem Genius abzapften, als sie zu ihrer kleinlichen Weltbesorgung gebrauchten. Freilich, wäre er zu seinem Recht und zu seiner Freiheit gekommen, so würde im selben Augenblicke die Mäusewirtschaft aufgehört haben und ein freies, lichtes und glückliches Zeitalter angebrochen sein. Allein die winzigen Dosen seines Geistes, welche nun so tropfenweise verwandt würden, sammelten sich doch allmählich zu einem allmächtigen Meere, indem es ihre Art sei, daß keine davon wieder vergehen oder aufgehoben werden könne, und in jenem allbezwingenden Meere werde sein Wesen zu seinem Rechte kommen und die Welt erlösen, daher er gerne seine körperliche Person wolle verschmachten lassen.
    »Hören Sie diesen verfluchten Hahn krähen?« rief er, »dies ist nur ein Mittel von tausenden, die sie zu meiner Qual anwenden; sie wissen, daß der Hahnenschrei mein ganzes Nervensystem erschüttert und mich zu jedem Nachdenken untauglich macht; deshalb hält man überall Hähne in meiner Nähe und läßt sie spielen, sobald man die verlangten Depeschen von mir hat, damit das Räderwerk meines Geistes für den übrigen Tag stillstehe! Glauben Sie wohl, daß dies Haus hier ganz mit verborgenen Röhren durchzogen ist, daß man jedes Wort hört, das wir sprechen, und alles sieht, was wir tun?«
    Ich sah mich im Zimmer um und versuchte einige Einwendungen zu machen, welche jedoch durch seine bestimmten, geheimnisvollen und wichtigen Blicke und Worte unterdrückt wurden. Solange ich mit ihm sprach, befand ich mich in der wunderlichen Stimmung, in welcher ein Knabe halbgläubig das Märchen eines

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