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Der gruene Heinrich [Erste Fassung]

Der gruene Heinrich [Erste Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Erste Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
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schlimmen Gerüchten, die über ihn in Umlauf waren, entgegenzukommen.
    Es war mir auch aufgefallen, daß Römer ganz vereinsamt lebte und, trotzdem daß er mehrere Herren aus angesehenen Häusern kannte, die sich zu gleicher Zeit mit ihm in jenen großen Städten aufgehalten, doch von denselben gemieden wurde. Daher wollte ich seine Lage nicht noch verschlimmern. Doch verlockte mich einst ein unwilliges republikanisches Gefühl zum Plaudern.
    Nachdem er nämlich öfter bedeutungsvoll bald von den Bourbonen, bald von den Napoleoniden, bald von den Habsburgern gesprochen, ereignete es sich einst, daß die Königin-Mutter aus Neapel, eine alte Frau mit vielen Dienern und Schachteln, einige Tage sich in unserer Stadt aufhielt. Sogleich geriet Römer in eine große Aufregung, lenkte auf Spaziergängen unsern Weg an dem Gasthofe vorbei, wo sie logierte, ging in das Haus, als ob er mit der Dame, die er als sehr intrigant beschäftigt und seinetwegen hergekommen schilderte, wichtige Unterredungen hätte, und ließ mich lange unten warten. Doch bemerkte ich, daß er sich nur an dem geheimsten und zugleich zugänglichsten Ort des Hauses aufhielt, welches ein unangenehmer Duft verriet, den er an die frische Luft mit sich brachte. Diese Narrenpossen, von einem Manne mit so edlem und ernstem Äußern, empörten mich um so mehr, da sie mit einer lächerlichen Listigkeit betrieben wurden. Ein andermal, nach dem Straßburger Attentat, als Frankreich die Auslieferung des Urhebers Louis Napoleon verlangte, mit Gewalt drohte und deshalb zum Schutze des Asylrechtes oder vielmehr des Bürgerrechtes eine große Aufregung herrschte und sogar schon Truppen aufgeboten wurden, stellte er sich, als ob Thiers nur nach seinen, des Schweizers, Vorschriften handelte und das Ganze nur ein berechneter Zug in seinem großen Schachspiele wäre. Dazumal hielt sich der besagte Prinz zwei Tage in der Stadt auf, um seine Angelegenheit auch in unserm Kanton zu empfehlen; denn er hatte sich noch nicht entschlossen, freiwillig das Land zu verlassen. Wir trafen ihn auf der Straße als einen jungen bleichen Mann mit einer großen Nase, der in Begleitung eines ältern Mannes ging, welcher ein rotes Bändchen im Knopfloch trug. Die Leute blickten ihm ernsthaft nach, besonders die Frauen sahen gar bedenklich darein, da ihre Männer und Söhne schon in Waffen umhergingen und bereits stundenlang im Regen standen, um zum Abmarsche Pulver und Blei, Äxte, Kessel und dergleichen zu fassen. Nur Römer fühlte von allem nichts und grüßte im Vorübergehen den Fremdling vertraulich lächelnd wie ein ebenbürtiger Vornehmer, wobei ich zugleich bemerkte, daß er vor Aufregung zitterte, einem Napoleoniden so nahe zu sein.
    Wenn ich den Wahnsinn verzeihen und tragen mußte, so konnte ich hier die innere Ursache nicht verzeihen, welche demselben zugrunde zu liegen und nichts anderes zu sein schien als jene unerträgliche Sucht eitler Menschen, von der wesentlichen und inhaltvollen Einfachheit der Heimat abzufallen und dem lächerlichen Schatten ausländisch-diplomatischer Klug-und Feintuerei nachzutrachten. Die aufbrausende Jugend war dazumal so schon erzürnt über einige gereiste Gelbschnäbel, welche sich eine Zeitlang darin gefielen, in dem läppischen Stile müßiger Gesandtschaftsbedienter Berichte über unsre Heimat in fremde Blätter zu senden und sich dabei das Ansehen zu geben, als ob sie durch ihre Diplomatie dem Lande oder ihrer Partei wunder was genützt hätten.
    Als Römer sich ein Stückchen rotes Band an einem Frack befestigte und diesen wie von ungefähr auf einen Stuhl legte, schien er mir die zusammengezogene Erscheinung jenes verwerflichen Unsinnes zu sein, und ich ging mit großem Zorne weg und beklagte mich zu Hause über den Unglücklichen. Es waren gerade Leute da, welche mehr von ihm wußten, und ich erfuhr, daß es längst von ihm bekannt sei, daß er sich bald für einen Sohn Napoleons, bald für den Sprößling dieser oder jener älteren Dynastie halte.
    Von seinen einzelnen und ausführlichen Narrheiten wußten nur wenig Leute, hingegen hielt man jene fixe Idee für eine absichtliche Verstellung, um mittelst derselben sich ungehörige Vorteile zu verschaffen, andere ums Geld zu bringen und ein müßiges, abenteuerliches Leben zu führen, da er nicht gern arbeite und vom Hochmute besessen sei, und man schrieb ihm demzufolge einen gefährlichen Charakter zu. Diese Beurteilung war im höchsten Grade oberflächlich und ungerecht, und ich habe mit

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