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Der gruene Heinrich [Erste Fassung]

Der gruene Heinrich [Erste Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Erste Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
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Verstorbenen und die noch Lebendigen, keinen Augenblick still, sondern gingen mit freundlichen frohen Mienen unablässig die Stube auf und nieder, hin und her, und dazwischen niedrig am Boden die zahlreichen Jagdhunde, das Reh, der Marder, zahme Falken und Tauben in friedlicher Eintracht, nur daß die Tiere den entgegengesetzten Strich mit den Menschen gingen und so ein wunderbares Weben durcheinanderging Der große Nußbaumtisch war mit dem schönsten weißen Damasttuche gedeckt und mit einer duftenden vollaufgerüsteten Mahlzeit besetzt, an welche aber niemand rührte. Heinrich konnte kaum erwarten, bis man sich zu Tische setze, so wässerte ihm der Mund, und unterdessen sagte er zum Oheim »Ei, Ihr scheint es Euch da recht wohl sein zu lassen!« – »Versteht sich!« sagte der, und alle wiederholten »Versteht sich!« mit angenehm klingender Stimme.
    Plötzlich befahl der Oheim, daß man zu Tische sitze, und alle stellten die Pfeifen pyramidenweise zusammen auf den Boden, je drei und drei, wie die Soldaten die Gewehre. Darauf schienen sie unversehens wieder zu vergessen, daß sie sich eigentlich zu Tisch setzen wollten, zum großen Verdruß Heinrichs; denn sie gingen nun ohne die Pfeifen wieder umher und fingen allmählich an zu singen, und Heinrich sang mit:
    »Wir träumen, wir träumen,
    Wir träumen, träumen, träumen, Wir säumen, träumen, säumen, Wir eilen und wir weilen,
    Wir weilen und wir eilen,
    Sind da und sind doch dort, Wir gehen bleibend fort,
    Wem konveniert es nicht?
    Wie schön ist dies Gedicht! Hallo, hallo!
    Es lebe, was auf Erden stolziert in grüner Tracht, Die Wälder und die Felder, die Jäger und die Jagd!«

    Diese merkwürdige Traumkomposition sangen die Weiber und Männer mit wundervoller Harmonie und Lust, und das Hallo stimmte der Oheim mit gewaltiger Stimme an, so daß die ganze Schar mit verstärktem Gesange darein tönte und rauschte und zugleich, blässer und blässer werdend, sich in einen wirren Nebel auflöste, während Heinrich bitterlich weinte und schluchzte und die Tränen stromweis flossen. Er erwachte in Tränen gebadet, und sein schlechtes Lager, welches seine jetzigen Wirtsleute, weil er nicht bezahlen konnte, lange nicht aufgefrischt, war vor. Tränen benetzt. Als er diese mit Mühe getrocknet, war das erste, dessen er sich erinnerte, der wohlbesetzte Tisch, der ihm so schnöde entschwunden, und erst dann fiel ihm nach und nach der ganze Traum bei, und er schlief voll Sehnsucht hurtig wieder ein, um nur schnell wieder in das gelobte Land zu kommen und die Heimreise zu vollenden.
    Er fand sich in einem großen Walde wieder und ging auf einem wunderlichen schmalen Brettersteig, welcher sich hoch durch die Äste und Baumkronen wand, eine Art endlosen hängenden Brückenbaues, indessen der bequeme Boden unten unbenutzt blieb. Aber es war schön, hinabzuschauen auf denselben, da er ganz aus grünem Moose bestand, welches in tiefer Dunkelheit lag. Auf dem Moose wuchsen Tausende von einzelnen sternförmigen Blumen auf schwankem Stengel, die sich immer dem oben gehenden Beschauer zuwandten; im Schatten jeder Blume stand ein kleines Bergmännchen, welches mittelst eines in einem goldenen Laternchen eingefaßten Karfunkels die nächste Blume beleuchtete, daß sie aus der Tiefe glänzte wie ein blauer oder roter Stern, und indem sich die Blumengestirne langsamer oder schneller drehten, gingen die Männchen mit ihren Laternchen um sie herum und lenkten sorgfältig den Lichtstrahl auf den Kelch. Jede Blume hatte ihr eigenes Männchen, und das kreisende Leuchten in der dunklen Tiefe sah sich von dem hohen Bretterwege wie ein unterirdischer Sternhimmel an, nur daß er grün war und die Sterne in allen Farben strahlten. Heinrich ging entzückt auf seiner Hängebrücke weiter und schlug sich tapfer durch die Buchen-und Eichenkronen, manchmal kam er in eine Föhrengruppe hinein, welche etwas lichter war, und das purpurrote, von der Sonne durchglühte, stark duftende Holzwerk der Fichtenkronen bot einen fabelhaften Anblick und Aufenthalt, da es wie künstlich bearbeitet, gezimmert und mit wunderlichem Bildwerk verziert erschien und doch natürliches Astwerk war. Manchmal führte der Steg auch ganz über die Bäume hinweg unter den offenen Himmel und Sonnenschein, und Heinrich stellte sich auf das schwanke Geländer, um zu sehen, wo es hinausginge; aber nichts war zu erblicken als ein endlos Meer von grünen Baumwipfeln, so weit das Auge reichte, auf dem der heiße Sommertag flimmerte

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